Von Dr. Peter Behnen
Seit Kurzem kursieren Aufrufe zum linken Ausstieg aus dem Euro (1). Sie sind unterzeichnet von Mitgliedern verschiedener linker Gruppierungen und auch von Mitgliedern der Partei „Die Linke“ und Attac- Aktivisten. Der Titel der Aufrufe lautet: Eine Alternative zum Euro.
Die Autoren gehen davon aus, dass der Brexit gezeigt habe, dass die EU nicht mehr weitermachen könne wie bisher. Die Klärung der Währungsfrage wird von ihnen als eine Schlüsselfrage für die Zukunft der EU angesehen. Zu diesem Zweck verlangen sie, „ dass der Süden der EU von einem Teil des Wettbewerbsdrucks entlastet wird. Ohne hohe Lohnabschlüsse in Deutschland und ohne ein EU-weites koordiniertes, staatliches Investitionsprogramm für ökologische und soziale Projekte sowie eine wirksame Regulierung und Kontrolle der Finanzmärkte…“(2) würden die EU und auch der Euro keine Zukunft haben. Die Autoren des Aufrufs sind ferner der Auffassung, es müsse eine Alternative zum Euro gefunden werden. Der Euro sei eine Fehlkonstruktion und werde durch die neoliberale Politik der wichtigen EU-Staaten am Leben gehalten. Die Autoren geben allerdings zu, dass ein alternatives Währungssystem nicht alle Probleme lösen werde, die einer gemeinwohlorientierten Politik entgegenstünden, trotzdem halten sie daran fest, dass im Mittelpunkt der linken Diskussion „ die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen einer einvernehmlichen Auflösung der Einheitswährung zugunsten eines neuen europäischen Währungssystems stehen (sollte P.B.).“ (3) Außerdem müsse der jetzigen Machtposition der EZB ein Ende bereitet werden. „Eine Sakralisierung des Euro ist nicht akzeptabel.“ (4) Die Autoren plädieren auch für eine ökologische Wirtschaftspolitik und eine gerechte Steuerpolitik sowie eine grundlegende Reform des Finanzsystems. Autoritäre Übergriffe von EU und EZB werden abgelehnt und die Demokratie in den Mitgliedesstaaten müsse gestärkt werden.
Die Autoren der Aufrufe wollen über die Probleme der EU, und vor allem des Euro, ergebnisoffen diskutieren. Dabei wird nicht gesagt, dass über den linken Ausstieg aus dem Euro (Lexit) schon seit längerer Zeit diskutiert wird. Bereits im Frühjahr 2013 eröffnete Oskar Lafontaine in der „Saarbrücker Zeitung“ die Diskussion, gestützt auf eine Ausarbeitung von Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas sowie Analysen von Fritz Scharpf und Wolfgang Streeck. Die Diskussion hatte sich entzündet an der EU-Politik in der Griechenlandkrise. Im Verbund mit skeptisch gewordenen Europäern plädierten Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht und Heiner Flassbeck u.a. für einen Rückbau statt Weiterbau einer demokratisch gestalteten Eurozone. Die Debatte von 2013 erfuhr eine Zuspitzung mit der Grexit-Option von links. Janine Wissler und Nicole Gohlke stellten 2015 im Neuen Deutschland(ND) die Grexit-Frage. Bei ihrer Argumentation, wo es um den Bruch mit der EU ging, überwog allerdings der Wunsch nach Veränderung, bei dem die Realität der europäischen Gesellschaften ausgeblendet blieb. Joachim Bischoff und Björn Radke stellten deshalb mit Recht die Frage: „ Sollte sich die politische Linke in Europa aus dem Kampffeld um eine Demokratisierung Europas, um eine wirtschaftliche und soziale Steuerung verabschieden und in einer Renationalisierung von Ökonomie und Politik eine Alternative entwickeln?“ (5)
Die Entscheidung für den Brexit stellt nun für die Autoren der Aufrufe den Anlass dar, das Thema eines linken Ausstiegs aus dem Euro wieder ins Spiel zu bringen. Die grundlegende Schwäche einer LexitKonzeption ist die Verkürzung der europäischen Probleme auf die Zirkulationsfrage als Schlüsselfrage. Schon Marx spöttelte in der Auseinandersetzung mit dem utopischen Sozialismus seiner Zeit über diese Kurzsichtigkeit: „ Wir sind hier bei der Grundfrage angelangt…Können durch Änderungen im Zirkulationsinstrument- in der Organisation der Zirkulation- die bestehenden Produktionsverhältnisse und die ihnen entsprechenden Distributionsverhältnisse revolutioniert werden? Fragt sich weiter: Kann eine solche Transformation der Zirkulation vorgenommen werden, ohne die bestehenden Produktionsverhältnisse und die auf ihnen beruhenden gesellschaftlichen Verhältnisse anzutasten?“ (6) Der Hinweis von Marx könnte auch heute die Richtung aufzeigen, die in der EU und Eurokrise einzuschlagen ist. Eine Neubegründung der EU ist notwendig. Armut, Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und eine extreme Konzentration von Einkommen und Vermögen machen ein alternatives Sanierungs- und Wachstumsmodell in Europa unverzichtbar. Wenn die ökonomischen Ungleichgewichte in Europa nicht abgebaut werden können, werden weder der Euro noch die EU insgesamt überleben. Es ist allerdings eine Illusion zu glauben, dass Korrekturen am Währungssystem ein Ersatz für umfassende Ausgleichsprozesse in der Union darstellen. Auf- und Abwertungen nationaler Währungen können da nur kurzfristige Abhilfe schaffen. Dazu Joachim Bischoff und Björn Radke: „ Im Kern geht es um die Frage: Ginge es Europa ohne die EU besser, weil diese eine ohnehin schon häufig neoliberale Politikausrichtung noch weiter zuspitzt, oder ist die EU eher nur die Erscheinungsebene, in der sich die neoliberale Politik der Nationalstaaten widerspiegelt?“ (7)
Die Konsequenz für die Linke müsste die Erkenntnis sein, dass die EU nicht per se ein neoliberales Projekt ist, sondern es kommt darauf an, gegen die Eliten der Nationalstaaten eine alternative Politik durchzusetzen. Da die realwirtschaftliche Ursache der Eurokrise in der ungleichen Entwicklung der Handels- und Kapitalströme liegt, kommt es auf einen Abbau der Ungleichgewichte in Europa an, was eine qualitativ neue Wachstums- und Beschäftigungsstrategie erfordert. Dieser Politikwechsel fängt in den Nationalstaaten der EU an. Nicht die Geldordnung in Europa ist das Grundproblem sondern ob in Europa ein ökonomischer Anpassungs- und Regulierungsmodus existiert. Das bedeutet, dass die unterliegende Struktur der nationalen Kapitale aufgelöst werden muss, das heißt, die nationale Arbeits- und Lohnstruktur, die industrielle Wachstumsstruktur in den Ländern und auch die rein national ausgerichtete Ausgleichsstruktur. Auf dieser Basis gilt es auch, eine konsequente Regulierung des europäischen Finanzsystems vorzunehmen.
Es ergeben sich somit folgende Schlussfolgerungen:
- Nicht der Euro ist das Kernproblem. sondern die wachsenden Divergenzen von Produktivität und Lohnstückkosten. Eine gesamteuropäische Struktur-Wachstums-Verteilungs-Lohn und Sozialpolitik ist angesagt. Das geht allerdings nicht, wenn die EU verlassen bzw. aufgelöst wird sondern nur, wenn die nationalen Regierungen zu einem Politikwechsel gezwungen werden.
- Selbst Unterzeichner der Aufrufe, wie zum Beispiel Wolfgang Streeck, kommen zu der Erkenntnis, dass „ die Zukunft der Europäischen Währungsunion…zum Unterthema einer weltweiten Debatte über eine Geld- und Kreditordnung für den Kapitalismus und vielleicht sogar des Postkapitalismus des 21.Jahrhunderts (werden könnte).“(8)
- Es geht in Europa um eine Investitionsoffensive, bei der die Linke permanent die Erfordernisse des sozial-ökologischen Umbaus in die Debatte bringen muss. Es muss um Konzepte gehen. die an nationalen Gegebenheiten ansetzen. Während für Deutschland beispielsweise eine Belebung des Binnenmarktes mit dem Ausbau hochwertiger Dienstleistungen in Bildung, Gesundheit und Pflege durchgesetzt werden muss, bedeutet wirtschaftliche Gesundung in Griechenland, Portugal, Spanien etc. den Wiederaufbau oder Neuaufbau funktionierenden Produktions- und Dienstleistungsstrukturen, u. a. auch für den Export. Das kann nur durch eine sehr viel stärker koordinierte Wirtschafts- Finanz- und Sozialpolitik im europäischen Rahmen erreicht werden und setzt die Bereitschaft der ökonomisch starken Staaten voraus, nationale Spielräume zugunsten europäischer Ziele zurückzunehmen. Für die Linke bedeutet das, auf der je nationalen Ebene für einen ökonomischen und sozialen Politikwechsel zu kämpfen. Das ist allerdings eine ganz andere Orientierung als die kurzsichtige Forderung eines Rückbaus im Rahmen des Europäischen Währungssystems.
(1) Siehe www.euroexit.de/aufruf oder lexit-network.org/aufruf
(2) a.a.O. S.1
(3) a.a.O. S.3
(4) a.a.O. S.3
(5) Sozialismus aktuell vom 29.7.15 S.3
(6) Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie MEW 42 S.72ff
(7) Bischoff/Radke Sozialismus 12/15 S.35
(8) Wolfgang Streeck, Warum der Euro Europa spaltet statt es zu einigen? WZB 2015.