Das Memorandum 2016.

von

Dr.Peter Behnen

Wie jedes Jahr gab die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik auch 2016 ein Memorandum heraus. In diesem Jahr trägt es den Titel „ Europäische Union und Flüchtlingsmigration- Solidarität statt Chaos.“ Es wird in dem Memorandum festgestellt, dass sich die EU augenblicklich zwischen den Extremen Zerfall und Zusammenhalt bewegt. Dabei habe das Krisenmanagement der EU schweren Schaden angerichtet, der durch die Flüchtlingsfrage noch weiter verschärft werde. Im Memorandum werden folgende Herausforderungen benannt, die die EU nun zu bewältigen habe. Es müssten die Folgen der Finanzkrise angegangen werden, wobei immer noch die irrige Auffassung vertreten werde, ein Abbau des Sozialstaats und ein verstärkter Wettbewerb zwischen den Ländern könnten die Probleme lösen. Inzwischen sei die Finanzkrise in eine Krise Europas eingemündet, mit starken nationalstaatlichen Bewegungen. Diese nationalstaatlichen Bewegungen werden noch verstärkt durch die Flüchtlingsbewegungen nach Europa. Diese Herausforderungen sind nach Auffassung der Memo-Gruppe nur zu bewältigen, wenn die EU eine Solidargemeinschaft wäre. Dass sie das nicht sei sondern eine im Grundsatz Wettbewerbsgemeinschaft mit neoliberaler Ausrichtung wollen die Autoren des Memorandums am Beispiel Griechenlands zeigen.

 

Griechenland hat im Zuge der Hilfsprogramme der EU etwa 250 Mrd. Euro erhalten. Dieses Geld ging jedoch nicht an die griechische Bevölkerung, Infrastruktur oder an das Sozialwesen sondern im Wesentlichen an internationale Finanzinvestoren zur Rückzahlung und Umschuldung von Krediten und für Zinsleistungen. An die Vergabe der Hilfsprogramme waren die Senkung von Staatsausgaben, Absenkung des Lohnniveaus, Einschränkung von Arbeitnehmerrechten und die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen und öffentlichen Gütern geknüpft. Auf diese Weise wurde, im Gegensatz zur Behauptung der Troika (IWF, EU und EZB), die sozialökonomische Krise noch verschärft. Griechenland müsste aus Sicht der Memo-Gruppe auf vierfache Weise geholfen werden:

1. Es müsste ein Sofortprogramm gegen die Armut im Lande aufgelegt werden.

2. Es müssten Hilfen zur Bewältigung der Migrationsbewegung gegeben werden.

3. Die Austeritätspolitik sei zu beenden und anstatt dessen eine wettbewerbsfähige Wirtschaftsstruktur und eine soziale öffentliche Infrastruktur aufzubauen.

4. Es sei eine dauerhafte Reduzierung des Schuldendienstes vorzunehmen.

 

Die EZB ist durch ihre Politik in die Eurokrise eingebunden. Sie verfolgt eine Politik des billigen Geldes. Sie hält die Leitzinsen extrem niedrig und kauft Staatsanleihen, die sich im Besitz der Banken befinden. Das Problem ist allerdings, dass diese Liquidität in der Finanzsphäre hängen bleibt und nicht für die Ankurbelung von Sachinvestitionen und Konsum sorgt. Das ist vor allem auf die staatliche Sparpolitik in der EU zurückzuführen, die Gelder landen auf den Wertpapier -und Immobilienmärkten. Die Finanzmärkte agieren immer noch weitgehend unreguliert und die hochspekulativen Geschäfte steigen jährlich an und tragen zur Unsicherheit im Finanzsystem bei.

Ein anderes Politikfeld, bei dem die Autoren des Memorandums einen Vorrang des Wettbewerbs vor dem Solidargedanken sehen, sind die Verhandlungen der EU- Kommission über einen Freihandel mit den USA (TTIP). Während der Verhandlungen wurde deutlich, dass es in dem Abkommen vor allem um die Interessen großer Konzerne geht und, da China von Anfang an ausgeschlossen wurde, auch um die geostrategische Ausrichtung. In Europa wurde von zivilgesellschaftlichen Institutionen eine Vielzahl von Einwendungen erhoben, insbesondere was die sozialen Rechte, Arbeitsrechte und Umweltrechte der Bürger angeht. Eine Beteiligung der demokratischen Öffentlichkeit am Verhandlungsprozess wurde bisher verhindert, so dass auch die Memogruppe zu einer klaren Ablehnung des Abkommens kommt.

Die Zukunft der EU wird von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik sehr kritisch gesehen, wenn die wirtschaftspolitische Steuerung in der EU nicht wesentlich erhöht wird. Eine gemeinschaftliche Wirtschafts-Steuer-und Finanzpolitik sei dringend erforderlich, um einen ökonomischen Gleichlauf in der Währungsunion zu erzielen. Dazu sei es auch notwendig, dass zum Beispiel Länder wie die Bundesrepublik ihre ökonomischen Spielräume für die Interessen des gesamten Euroraumes einsetzten und dessen Entwicklung neuen Schwung gäben. Doch die Herausforderungen für die EU gehen nach Auffassung der Memogruppe inzwischen weit über die Wirtschafts- und Finanzpolitik hinaus. Das Problem sei, dass die Flüchtlingsfrage die Gräben zwischen den EU-Ländern vertieft hätten. Wenn Integration gelingen soll, bedürfe es leistungsfähiger öffentlicher Strukturen. Es müsse ein Kapazitätsausbau in folgenden Bereichen stattfinden: Kinderbetreuung, Schul- und Hochschulbereich, VHS und Jugendbildungsarbeit, Familien- und Jugendsozialarbeit, Gesundheitsbereich, Sport- und Kulturbereich, öffentliche Beratungsstellen und auch Stärkung der inneren Sicherheit, die nicht Privaten überlassen werden dürfe. Eine derartige Initiative für die öffentliche Daseinsvorsorge müsse allen Bürgern zugute kommen, da liege auch ein wesentlicher Beitrag zum Kampf gegen den Rechtspopulismus. Das Gleiche gelte für die Schaffung öffentlich geförderter Beschäftigung, die folgende Grundsätze zu beachten habe:

 

1. Langzeitarbeitslosen und Schutzsuchenden sind neue Perspektiven zu eröffnen.

2. Schaffung von mehr tariflich bezahlten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen.

3. Sicherung der Finanzierung öffentlich geförderter Beschäftigung.

 

Um die Herausforderungen zu bewältigen sind drei Ebenen der Finanzierung ins Auge zu fassen. Da der Selbstfinanzierungseffekt und die Generierung von Steuermehreinnahmen Zeit erfordern, kann kurzfristig nicht auf die öffentliche Kreditaufnahme verzichtet werden. Mittel- und langfristig werden sich Selbstfinanzierungseffekte entwickeln, da der staatliche Konsum und eine Erhöhung staatlicher Investitionen die gesamtgesellschaftliche Nachfrage erhöhen. Das führt zu höherer Produktion und Beschäftigung. Den wichtigsten Beitrag zur Finanzierung leisten aus Sicht der Memogruppe die Maßnahmen einer gerechten Steuerpolitik. Sie schlägt folgende Maßnahmen vor:

 

1. Es geht um die Einführung einer einmaligen auf 10 Jahre gestreckten Vermögensabgabe für Superreiche.

2. Die Vermögenssteuer ist mit entsprechenden Freibeträgen wiederzubeleben.

3. Der Spitzensteuersatz ist zu erhöhen bei einem lineare Tarifverlauf und einem erhöhten Grundfreibetrag.

4. Die Körperschaftssteuer ist zu erhöhen und die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer auszubauen.

5. Kapitaleinkommen sind mit dem persönlichen Einkommenssteuersatz zu besteuern.

6. Eine Finanztransaktionsteuer ist zügig einzuführen.

7. Der Solidarzuschlag ist beizubehalten und kann teilweise in einen Fonds zur Flüchtlingsaufnahme fließen.

8. Der Personalbestand in den Finanzverwaltungen ist massiv zu erhöhen.

 

All diese Maßnahmen seien notwendig, um die drängenden sozialökonomischen Probleme zu lösen. Ohne eine Umsteuerung in der Wirtschaftspolitik droht aus Sicht der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik auch ein gefährliche Erosion des demokratisch politischen Systems.