Aktuelle Wirtschaftsperspektiven im Finanzkapitalismus(1)

von

Dr.Peter Behnen

Die Aussichten der weltwirtschaftlichen Entwicklung für die nächste Zukunft gehen zurück auf die Probleme und Widersprüche, die der Finanzkapitalismus seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hervorgebracht hat. Nach dem 2.Weltkrieg und der Phase des beschleunigten Wachstums (beschleunigte Akkumulation) entwickelte sich aufgrund der Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts eine sogenannte chronische Überakkumulation des Kapitals. Damit ist gemeint, dass es eine Tendenz zum Fall der Durchschnittsprofitrate gibt, die bis zu den 70er Jahren durch das Wachstum des Kapitals und damit der Profitmasse mehr als ausgeglichen wurde. In der Mitte der 70er Jahre erfolgte ein Umschlag, bei dem das aus dem Produktionsprozess stammende Geldkapital von Unternehmen verstärkt auf den Finanzmärkten angelegt wurde. Es war eine Schwemme von Kapital vorhanden, das nicht mehr profitabel im reproduktiven Bereich (Industrie und Dienstleistungsunternehmen) angelegt werden konnte und neue Anlage auf den Finanzmärkten suchte. Das Kapital landete verstärkt in nicht-investiven und konsumtiven Kreditformen, insbesondere in privaten Konsumkrediten, öffentlichen Krediten und zur Spekulation an den Börsen. Chronische Überakkumulation bedeutet somit ein verlangsamtes Wachstum des Kapitals im reproduktiven Bereich und ein beschleunigtes in allen Anlageformen des Geldkapitals, insbesondere auch in fiktivem Kapital (Wertpapieren) (2).
Vor diesem Hintergrund sind die aktuelle und zukünftige Entwicklung der Weltwirtschaft zu betrachten. Als Zwischenschritt bei der Einschätzung ist die globale Finanzkrise von 2008 heranzuziehen. Das Kreditvolumen war international zum Zerreißen angespannt. Hausbesitzer in den USA, Großbritannien und Irland konnten ihre Kredite nicht mehr bedienen, Baukonzerne in Spanien hatten sich übernommen und viele Banken zerbrachen an ihren Investmentgeschäften. Die etablierte Politik reagierte mit einer groß angelegten Rettung von Banken und Konjunkturprogrammen, insbesondere in den USA und China. Außerdem gab es bis heute ein massives Gegensteuern der Notenbanken. Inzwischen ist das Zinsniveau extrem niedrig und die Europäische Zentralbank (EZB) pumpt monatlich 60 Mrd. Euro in
die Kreisläufe. Trotzdem expandieren die privatkapitalistischen Sektoren nicht, weil die Liquidität für die Schuldenrückzahlung verwendet und in die Wertpapier- und Immobilienmärkte investiert wird. Es besteht die Gefahr eines neuen Zusammenbruchs an den Finanzmärkten, eine Nachfragestimulierung an den Warenmärkten erfolgt nur in geringerem Maße. Inzwischen verharrt Europa in einer hartnäckigen Stagnation, das Wachstum in China verlangsamt sich deutlich und das gilt ebenso für die Schwellenländer.
Russland und Brasilien befinden sich in einer Rezession und vieles deutet darauf hin, dass auch in den USA eine Rezession oder Stagnation des Wirtschaftslebens zu erwarten ist. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) senkt für 2015 seine Wachstumsprognose. Wichtige Ursachen für das Rezessionsrisiko sind die Konjunkturschwäche in China, fallende Rohstoffpreise und versiegende Kapitalflüsse in die Schwellenländer. Chinas Wachstumsschwäche macht sich bemerkbar bei seinen Exporten in die westliche Welt und auch bei den internationalen Rohstoffpreisen. Nach der Abwertung der chinesischen Währung, dem Yuan, wird der Blick frei für tiefere Probleme der Weltwirtschaft. Das globale Wachstum schwächt sich ab und eine Spaltung zwischen den kapitalistischen Hauptländern und der Peripherie ist nicht zu übersehen. Die Schwellenländer, vor allem die rohstoffexportierenden, befinden sich in einem Sinkflug. Das gilt, wie gesagt, für Brasilien und Russland und auch für Südafrika. Die Hausse an den Rohstoffmärkten ist beendet.
Der Aufschwung in den USA lief über sieben Jahre. Die Stagnation wurde mithilfe einer expansiven Geldpolitik überwunden. Inzwischen sind jedoch die Entwicklungspotenziale erschöpft. „ Nach der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise war es politisch nicht durchsetzbar die Ungleichgewichte, die sich gebildet hatten, zu bereinigen.“(3) Zwar gelang es, eine Depression zu verhindern, aber ein kraftvoller Aufschwung wurde nicht erreicht. Ein Teil der Euroländer hat sich etwas erholt, es bleiben aber die Probleme an der Peripherie (Portugal, Spanien und Griechenland). Eine Rückkehr zu einem Aufschwung, der durch industrielle Investitionen getragen wird, ist in allen EU-Ländern nicht erkennbar. Trotz der Stimulierung nach der Krise 2008 zuerst mit staatlichen Konjunkturanreizen, dann mit der Zinspolitik, mit Null- und Minuszinsen und gigantischer Geldschöpfung und Währungsabwertung kommen Europas Wirtschaft und die Weltwirtschaft insgesamt nicht auf Touren. Seit dem Ausbruch der Krise vor sieben Jahren durchläuft die Weltwirtschaft eine Krisenkaskade. Die Scherenentwicklung von stagnierender Realökonomie und überreichlicher Geldakkumulation wurde nicht aufgehoben. Die amerikanische Nationalbank( FED) und andere Nationalbanken haben mit ihrer expansiven Geldpolitik alles unternommen um einen Zusammenbruch der Märkte zu verhindern. Es stellt sich aller-
dings heraus, dass bestimmte Vermögenswerte (Wertpapiere und Immobilien) aufgepumpt und zum Beispiel Sparvermögen entwertet werden und kein nachhaltiger Aufschwung im realen Sektor entstanden ist. Die soziale Spaltung nimmt zu und die Steuerungsinstrumente der Nationalbanken bleiben wirkungslos. Die öffentlichen Haushalte verschärfen die Lage, weil weiter eine rigorose Sparpolitik (Austeriät) betrieben wird. „ Die nächsten Jahre werden davon geprägt sein, mit den in der Vergangenheit aufgehäuften Schuldenbergen umzugehen, das heißt, sie zu bereinigen. Privathaushalte werden ihre Schulden abbauen und Staaten ihre Haushalte konsolidieren müssen.“ (4) Dadurch wird die Nachfrage gedrückt und es werden Konsum- und Investitionsausgaben sinken. Die kapitalistischen Ökonomien stecken in einer Tendenz zu einer länger anhaltenden realen Stagnation, einer wirkungslosen Geldpolitik der Notenbanken und einer ausgeprägten Unsicherheit an den Finanzmärkten. Nur eine alternative Wirtschafts- Steuer-Finanz und Sozialpolitik mit Blickrichtung auf eine alternative Wirtschaftsordnung wird einen Ausweg aus der Sackgasse ermöglichen.

(1) Siehe hierzu insbesondere: Joachim Bischoff: Fragiler Wirtschaftszyklus und Finanzkapitalismus, Sozialismus 11/2015 S.16
(2) Siehe u.a. Bischoff, Krüger, Zinn: Supplement Sozialismus 12/2008 S.20ff
(3) a.a.O. Sozialismus 11/2015 S.20
(4) a.a.O. S.22