ALTERNATIVEN FÜR GRIECHENLAND (1).

von

Dr.Peter Behnen

 

Die Lage in Griechenland hat sich vehement zugespitzt. Die Regierung Tsipras muss zur Schuldentilgung und Zinszahlung die letzten Reserven angreifen, u.a. durch die Inanspruchnahme von Notfallkrediten und durch finanziellen Rückgriff auf Kommunen und Sozialkassen. Die Eurostaaten haben sich offensichtlich darauf verständigt, die linke Politik der griechischen Regierung abzuwürgen. Der Regierung Merkel geht es darum, ihr neoliberales Wirtschaftsmodell, das u.a. aus der Förderung eines Niedriglohnsektors und der Kürzung von Sozialausgaben besteht, weiter gegenüber den anderen Euroländern durchsetzen zu können. „ Dabei hat sie zum einen die übrigen Überschussländer des europäischen Nordens im Schlepptau, hält die zwischen den Überschussländern und Defizitländern positionierte französische Konkurrenz in Schach und erfreut sich der Treueschwüre ihrer kleinen und mittleren Verbündeten in Süd- und Osteuro-
pa.“ (2) Diese Treueschwüre werden gemacht, weil die dortigen konservativen Regierungen bei einem Erfolg der Regierung Tsipras den Rückhalt in ihren Bevölkerungen verlieren würden. Es ist deswegen damit zu rechnen, dass, wenn die griechische Regierung sich weiter in die Enge treiben lässt, ihr Projekt auch innenpolitisch zum Scheitern verurteilt ist.
Die Frage ist also, welche Handlungsmöglichkeiten die Regierung Tsipras
noch hat bzw. welchen Weg sie kurz- und mittelfristig einschlagen sollte?

Um die Frage zu beantworten muss klar festgehalten werden, dass die fällig werdenden Zins- und Tilgungszahlungen an die Gläubiger kaum zu leisten sind. Im Jahre 2015 ist mit einer Gesamtsumme von 20 Mrd. Euro an Zins- und Tilgungsleistungen zu rechnen. Die Eurogruppe wird von der Regierung Tsipras verlangen, den Sparkurs noch einmal zu verschärfen, wenn weitere Gelder aus der EU nach Griechenland fließen sollen. Das wäre allerdings das Ende der mit dem Syrizaaufstieg verbundenen Hoffnungen auf einen alternativen ökonomisch-sozialen Weg.
Nur durch den Bruch mit der neoliberalen Logik wird ein alternativer Weg beschritten werden können. Das gilt für Griechenland aber auch für die EU insgesamt. Es sind schon vor der Regierungsübernahme von Syriza verschiedene Schritte aufgezeigt worden, die zu gehen sind, wenn die Krise erfolgreich bekämpft werden soll. „ Hierzu zählten vor allem die Studien und Analysen des… Levy Economics Instituts, des führenden Think Tanks der Post- Keynesianer um Hyman Minsky und Joseph Stiglitz.“ (3) Auch der Nobelpreisträger Paul Krugman hat in vielen Veröffentlichungen aufgezeigt, wie kontraproduktiv die Politik der Troika war und ist und dass sie zu einer erheblichen Verschärfung der Krise in Griechenland geführt hat.

Der erste und wichtigste Punkt zur Verhinderung der Insolvenz Griechenlands ist ein Schuldenmoratorium. Die anstehenden Zins- und Tilgungsleistungen müssen sofort gestoppt werden und es muss eine europäische Schulden- und Aufbaukonferenz stattfinden. Auf dieser Konferenz, auf der alle beteiligten Akteure vertreten sein müssen, müssen sich die Gläubiger zu einer grundlegenden Wende durchringen. Die kann nur darin bestehen, dass mindestens die Hälfte der griechischen Staatsschulden gestrichen wird. Die Restschulden, das sind etwa 160 Mrd. Euro, sollten erst dann sukzessive getilgt bzw. verzinst werden, wenn das die jährlichen Wachstumsraten der griechischen Volkswirtschaft ermöglichen. Die genauen Bedingungen sind auf der europäischen Konferenz festzulegen.
Der zweite Punkt, der unverzüglich anzugehen ist, ist der Kampf gegen die humanitäre Katastrophe. Das bedeutet, dass der Mindestlohn mindestens 751 Euro betragen und die Diktate der Troika im sozial- und arbeitspolitischen Bereich zurückgenommen werden sollten. Ebenso ist die Einheitsimmobiliensteuer wieder abzuschaffen. Eine teilweise Gegenfinanzierung des Kampfes gegen die humanitäre Katastrophe muss durch die Anhebung des Spitzensteuersatzes und durch den Kampf gegen die Korruption und das Klientelwesen erfolgen.
Drittens ist ein Programm zur Schaffung von Arbeitsplätzen aufzulegen. Das Levy Economics Institut hat beispielsweise vorgeschlagen, öffentlich finanzierte Projekte im wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen, politischen und kulturellen Bereich durchzuführen. Dieses Programm ist zu verbinden mit einem Programm, das gezielt den Kapitalstock im gewerblich-industriellen Bereich erneuert. „ Der gewerblich-industrielle Sektor hat erheblich an Arbeitsproduktivität eingebüßt, weil die Maschinen und Anlagen seit über sechs Jahren nicht mehr repariert, ersetzt oder verbessert wurden.“ (4) Ein gezieltes Aufbauprogramm sollte sich auf die Innovation von kleinen und mittleren Unternehmen konzentrieren aber auch hochqualifizierte Arbeitsplätze in der Logistik, Mineralölverarbeitung, Aluminiumindustrie und im Pharmasektor schaffen und die Wertschöpfung vertiefen. Der Stopp der Privatisierung kann zudem als Ausgangspunkt für die Erweiterung bzw. den Aufbau eines öffentlichen Wirtschaftssektors genutzt werden. Für das gesamte Wiederaufbauprogramm ist insgesamt mit 25 Mrd. Euro an Kosten zu rechnen. Die Finanzierung des Programms ist auf der Schulden- und Aufbaukonferenz genau zu regeln.
Was die Bundesrepublik im Verhältnis zu Griechenland betrifft, so gilt es, über die auf der Reparationskonferenz von 1946 in Paris Griechenland zugesprochene Reparationssumme zu einer Einigung zu kommen. Das Problem war sowohl auf der Londoner Schuldenkonferenz von 1953 als auch bei dem 2+4- Vertrag von 1990 ausgeklammert worden. Karl Heinz Roth kommt aufgrund eigener Untersuchungen zu der Schlussfolgerung, dass das heute einen griechischen Rechtsanspruch von mindestens 90 Mrd. Euro begründet. Er schlägt vor, für die Finanzierung auf die Goldreserve der Deutschen Bundesbank zurückzugreifen und diese Gelder für den Wiederaufbau der griechischen Nationalökonomie zu verwenden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich die obigen Vorschläge nur verwirklichen lassen, wenn eine grundlegende Veränderung der Politik der Bundesrepublik und der EU- Staaten stattfindet. Die EU ist von einer Wettbewerbsunion zu einer Ausgleichsunion umzugestalten. Das muss aus heutiger Sicht als völlig illusorisch erscheinen. Dazu meint Karl Heinz Roth:

„ Es geht… nicht um Visionen. Wir erheben ganz einfach unsere Stimme, weil uns das drohende Chaos und die damit unweigerlich einhergehende Barbarisierung des Lebens ängstigen. An den Grenzen Europas ist das alles schon mit Händen zu greifen, und auch innerhalb des Kontinents etablieren sich rechtsextremistische und neo-faschistische Mentalitäten.“ (5) Es ist also die Aufgabe aller fortschrittlichen Kräfte, sich einer solchen Entwicklung mit aller Kraft entgegenzustellen.

(1) Der Aufsatz bezieht sich auf den Text von: Karl Heinz Roth, Griechenland am Abgrund, Hamburg 2015.
(2) a.a.O. S. 53
(3) a.a.O. S. 21
(4) a.a.O. S. 37
(5) a.a.O. S. 53