Die Europäische Zentralbank als Krisenmanagerin?

Dr.Peter Behnen

Der Leitzins, den die Banken bei der Europäischen Zentralbank (EZB) bei Kreditaufnahme zahlen müssen, liegt seit Monaten bei 0,05 Prozent pro Jahr. Außerdem haben sie einen Strafzins zu zahlen, sofern sie Geld bei der EZB parken wollen. Nun hat sich die EZB für eine neue Anti-Krisen-Maßnahme entschlossen. Sie will mit milliardenschweren Anleihekäufen den Euroraum aus der Dauerkrise herausbringen. Sie beschloss, monatlich bis zum September 2016 Anleihen von Staaten und Unternehmen im Gesamtwert von 60 Mrd. Euro zu kaufen, allerdings nur Papiere mit hoher Bonität. Das sind Papiere von Staaten, die von den Ratingagenturen gute Noten als Schuldner erhalten, wozu Portugal, Griechenland und Zypern nicht gehören. Die EZB hofft, dass das Geld über Kredite von Banken an Private und Unternehmen gelangt und auf diese Weise Investitionen und Konsum angekurbelt werden. Ferner soll die niedrige Preissteigerungsrate wieder in Richtung 2% befördert werden, um das Gespenst der Deflation zu vertreiben. Es wird ein Szenario wie in Japan befürchtet, das seit über 20 Jahren gegen eine Deflation ankämpft. Für sich genommen wäre ein leichter Rückgang des allgemeinen Preisniveaus zwar keine besondere Gefährdung der Wirtschaftsentwicklung, bei einer Deflation allerdings muss von einem drastischen Fallen des Preisniveaus über einen längeren Zeitraum ausgegangen werden. Das hätte verheerende Folgen für die reale Wirtschaft (Industrie, Handel, Dienstleistungen), Investitionsrückgänge und ein noch höhere Arbeitslosigkeit wären zu erwarten. Zudem beinhaltet eine Deflation eine Tendenz zur Selbstverstärkung mit einer gewaltigen wirtschaftlichen Abwärtsspirale.

Die Frage ist somit, ob die aktuelle Geldpolitik der EZB tatsächlich zu ihren angestrebten Zielen führen wird?

Die Vertreter der EZB gehen davon aus, dass die gesellschaftliche Nachfrage nach Konsumgütern und Investitionsgütern durch die Geldschwemme angekurbelt werde. Es sei mit einer weiteren Senkung der langfristigen Zinsen zu rechnen, eine Steigerung der Preise von Wertpapieren und Immobilien erhöhe die Kreditsicherungsmöglichkeiten von Kreditnehmern. Da außerdem der Eurokurs zum Dollar weiter sinken werde, würden europäische Waren auf dem Weltmarkt billiger und damit auch deren Export angekurbelt.
Diese Argumentation ist jedoch mit deutlichen Fragezeichen zu versehen. Es wird vonseiten der EZB behauptet, es fehle auf den Märkten an liquiden Mitteln. Im Gegensatz dazu ist zu sagen, dass es nicht an Liquidität fehlt sondern an zahlungsfähiger Nachfrage nach Konsumgütern und Investitionsgütern. Konsumausgaben werden von vielen Haushalten zurückgestellt, weil es entweder an dem notwendigen Einkommen fehlt bzw. die Ausgaben für Lebensmittel, Miete etc. einen erheblichen Teil des Einkommens aufweisen. Die neoliberale Politik hat hier ihre deutlichen Spuren hinterlassen. Langlebige Konsumgüter auf Schuldenbasis zu erwerben ist für viele Haushalte nicht möglich, weil es augenblicklich eher darum geht, drückende Schuldenlasten abzubauen. Die Folge ist, dass die Investitionsentwicklung im Konsumgütersektor und damit auch im Investitionsgütersektor keine Dynamik entfalten kann. Die Liquiditätszuflüsse bei Banken fließen somit nicht in Kredite an Haushalte und Unternehmen sondern vornehmlich an die Börsen und den Immobilienbereich. Was und vor allem wem nützen also steigende Preise bei Wertpapieren und Immobilien als Kreditsicherung, wenn Kredite nicht für Konsumausgaben und Investitionsgüter nachgefragt werden? Ein schwacher Euro kommt zwar der Exportindustrie entgegen, kann aber die Schwäche des Binnenmarktes nicht aufheben und sorgt zudem für teuere Importe aus dem Ausland. Die Zeche bezahlen schließlich die Verbraucher und auch die Kleinsparer, die keine Wertpapiere sondern bestenfalls ein Sparkonto besitzen.

Angesichts der der schleppenden Konjunktur wäre eine Ausweitung der Produktion in der Eurozone notwendig, angestoßen durch staatliche Investitionen. In allen Euroländern gibt es inzwischen eine massive Unterfinanzierung mit einem Investitionsrückstand in der öffentlichen Infrastruktur. Das Problem lässt sich nicht mit der Weiterführung der neoliberalen Sanierungspolitik beheben sondern nur mit einem offensiven europäischen Investitionsprogramm, finanziert vorerst mit Krediten aber mittelfristig durch Steuern zu Lasten höherer Arbeitseinkommen und Vermögenserträgen. Da die meisten Regierungen diesen Weg nicht gehen und an der perspektivlosen Sanierungspolitik festhalten wollen, kommt der EZB weiterhin die ökonomische Steuerungsaufgabe zu, die sie jedoch alleine nicht erfolgreich bewältigen kann. Die europäische Notenbank hat sich deswegen, trotz des Wissens um die Risiken, zu einer Fortführung der expansiven Geldpolitik entschlossen. Hätte die EZB allerdings diesen Weg nicht beschritten, wäre die Gefahr noch größer gewesen, dass die Wirtschaft in eine Deflation gerät und möglicherweise weiter stagniert bzw. schrumpft.
Die Abkehr von der europäischen Sanierungspolitik und der rigorosen Wettbewerbspolitik ist das Gebot der Stunde. Paul Krugman, seines Zeichens Nobelpreisträger für Ökonomie, sagt dazu Folgendes: „ Das zeigt, dass die Art von politischem Stillstand, die Japan seit knapp zwei Jahrzehnten zu schaffen macht, mehr oder weniger ein universelles Phänomen ist…Die Möglichkeit, dass die Dinge so schlecht liegen- und Radikale gestärkt wurden- weil die Politik fundamental falsch ausgerichtet ist, scheint nicht in Betracht gezogen zu werden.“

Die etablierte Politik spricht zwar von notwendigen Strukturreformen, wie auf dem jüngsten Davoser Wirtschaftsforum, meint aber weiterhin den Abbau von Löhnen, Sozialleistungen und Arbeitsmarktregulierungen, vor allem in den sogenannten Krisenländern des Eurobereichs. Im Gegensatz dazu müsste ein Politikwechsel zu einer zügigen Beendigung des Sparkurses und zu einer schnellen Umsetzung eines groß angelegten europäischen Investitionsprogramms führen. Auf mittlere Sicht wären aber die chronische Überakkumulation dieser Wirtschaftsordnung und die aus ihr entspringende Scherenentwicklung von stagnierender Realökonomie und überreichlicher Aufblähung des Finanzsektors anzugehen. Das bedeutet eine umfassende gesellschaftliche Steuerung von Investitionen und Regulierung des Finanzsektors. Das kann aber von der etablierten Politik nicht erwartet werden sondern nur durch ein Projekt von Parteien und alternativen Gruppierungen, die eine demokratische Reformalternative unterstützen. Es ist eine Doppelstrategie zu entwickeln, mit der einerseits die Lebensverhältnisse der Bürgerinnen und Bürger schon kurzfristig verbessert werden und andererseits ein Weg in Richtung einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft beschritten wird.