von Dr.Peter Behnen
Missbrauchskampagnen gegen Migrantinnen und Migranten gehören inzwischen zum Alltag in der Bundesrepublik. Etiketten wie „Asylbetrüger“ oder „Sozialtouristen“ gehen inzwischen auch Politikern aus etablierten Parteien locker von den Lippen. Das war zum Beispiel bei der Christlich-Sozialen-Union so, die bei MigrantInnen aus Rumänien und Bulgarien, die seit Anfang des Jahres die volle EU-Freizügigkeit besitzen, gleich unterstellte, sie wollten das Sozialsystem der Bundesrepublik ausnutzen. Auf den Gedanken, dass diese Menschen ihr Land verlassen um bei uns Arbeit zu finden und damit ein etwas besseres Leben, können oder wollen bestimmte Politiker nicht kommen. Auch der Slogan „ Wer betrügt der fliegt“, der vor allem Roma zu Bettlern und Betrügern abstempelt, geht auf eine Kampagne der Christlich-Sozialen-Union zurück. Dass diese Menschen seit vielen Jahren diskriminiert und auch von Nationalsozialisten verfolgt und in Konzentrationslagern umgebracht wurden, wird verdrängt.
Inzwischen sind die Missbrauchskampagnen nicht nur bei Teilen der Bevölkerung sondern auch bei der Großen Koalition in Berlin auf fruchtbaren Boden gefallen. Es entstand ein Gesetzespaket, dessen Hauptpunkte folgendermaßen aussehen:
1. Wenn MigrantInnen aus EU-Staaten arbeitslos sind, soll ihnen nach sechs Monaten der sichere Aufenthaltsstatus entzogen werden.
2. Bei „Missbrauch von Sozialleistungen“ sollen befristete Einreisesperren bis zu fünf Jahren verhängt werden können.
3. Es soll besonders stark nach Scheinselbstständigkeit gefahndet werden.
4. Der Bezug von Kindergeld soll eingeschränkt werden.
Den beiden zuständigen Ministern Andrea Nahles und Thomas de Maiziere ist es in ihrem Abschlussbericht zum geplanten Gesetz nicht gelungen nachzuweisen, dass ein Ausnutzen von Sozialleistungen durch EU-Zuwanderer vorliegt. Arbeitsmarktforscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) haben inzwischen festgestellt, dass viele zugewanderte Rumänen und Bulgaren im Durchschnitt zwar geringer qualifiziert sind als andere MigrantInnen, dass aber ihre Quote bei Arbeitslosen und Beziehern von Sozialleistungen geringer ist als bei anderen Migrantengruppen. Die Forscher widersprechen der Auffassung, es gäbe eine Welle von „ Armutszuwanderung.“ Es sei offensichtlich, dass Zuwanderer aus ost- und südeuropäischen Ländern vom weniger angespannten Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angezogen würden.
Wenn Zuwanderer pauschal des „Sozialmissbrauchs“ beschuldigt werden, trägt das nicht nur zur Stärkung rechtspopulistischer Kräfte bei sondern lenkt auch von einem viel größerem Problem ab, dem Lohn- und Sozialdumping von Unternehmen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert schon seit langem die skandalösen Arbeits- und Lebensbedingungen einer Vielzahl von Zuwanderern, alles nach dem Geschäftsmodell „Ausbeutung durch Lohndumping.“ Die politische Brisanz der Zuwanderung entsteht darüber hinaus durch die regionale Verdichtung der MigrantInnen. Städte wie zum Beispiel München, Duisburg, Frankfurt, Hamburg und Mannheim sind besonders betroffen. Häufig treffen Zuwanderer auf Städte und Gemeinden, die sich in einem Strukturwandel mit angespannter Finanzlage befinden. Jetzt müsste sich zeigen, ob sich die Bundesregierung gegen jede Form der Diskriminierung von MigrantInnen wendet, wie sie es im Koalitionsvertrag versprach. Bisher waren nur hochqualifizierte ArbeitsmigrantInnen, die eine Facharbeiterlücke ausfüllen, willkommen. Eine bessere Finanzausstattung der betroffenen Städte und Gemeinden wäre dringend erforderlich. Das geplante Gesetz gegen den sogenannten „Sozialmissbrauch“ lässt allerdings nichts Gutes erwarten.