Wohin führt die Grundsatzdebatte der SPD?

Dr.Peter Behnen

Nach dem desaströsen Ergebnis der Bundestagswahl 2017 eröffnet die SPD eine Grundsatzdebatte, deren Zwischenergebnisse auf einem Parteitag im Dezember 2017 vorgestellt werden sollen (1). Der Parteivorsitzende Martin Schulz hatte bereits nach der Wahl „Mut zur Kapitalismuskritik“ verlangt und es wurden 8 Regionalkonferenzen angesetzt, auf denen über künftige inhaltliche Schwerpunkte aber auch neue Strategien gesprochen werden soll. Dass man hier zu schnellen Ergebnissen komme, daran glaubt Johannes Kahrs, der Sprecher des rechten „Seeheimer Kreises“, nicht.

Die Linke sollte sich die Grundpositionen, die bisher zu Tage traten, näher betrachten. Vor allem Olaf Scholz, der Hamburger Bürgermeister, und Ralf Stegner, der Landesvorsitzende der SPD Schleswig-Holstein, haben die Debatte eröffnet.
Olaf Scholz hat ein Diskussionspapier vorgelegt mit dem Titel „ Keine Ausflüchte! Neue Zukunftsfragen beantworten! Klare Grundsätze! “ Scholz sieht strukturelle Probleme der SPD und stellt fest, dass die Agenda 2010 und die Rentenbeschlüsse der SPD (Rente mit 67) seiner Partei erhebliche Zustimmung gekostet haben. Das Vertrauen in die Sozialpolitik der SPD sei bei vielen Menschen verloren gegangen. Angesichts der Tatsache, dass sinkende Löhne der unteren Einkommensgruppen und stagnierende Löhnen bis in die Mittelklasse hinein zu verzeichnen seien, müsste die SPD, wie viele andere sozialdemokratische Parteien in Europa auch, Antworten finden, wie eine gute Zukunft für alle aussehen könnte. Scholz plädiert dafür, einen zuverlässigen Sozialstaat zu entwickeln, das heiße auch, die Mindestlöhne zu erhöhen, Tarifverträge zu stärken, ein gerechtes Steuersystem zu schaffen und gebührenfreie Betreuung und Bildung sowie bezahlbaren Wohnraum.
Ralf Stegner legt einen Bauplan vor, wie die SPD „ vom Keller bis zum Dach“ saniert werden könne. Auch er setzt auf eine Erneuerung von Programm, Struktur und Organisation der Partei. Es könne kein „weiter so“ geben. Er will das Kapitel Agenda 2010 abschließen, indem sich die SPD zu ihren Irrtümern bekennt und sich eingesteht, dass die Anpassung an den neoliberalen Zeitgeist durch das Schröder-Blair-Papier ein schwerer Fehler gewesen sei. Die SPD müsse sich in erster Linie um die Verunsicherung und Veränderungsängste der Menschen kümmern und Fragen wie Globalisierung, Digitalisierung, Terrorismus, Fluchtbewegungen und soziale Unsicherheit offensiv angehen. Das alles habe mit dem Erstarken des Rechtspopulismus zu tun.
Die geplante Erneuerung der SPD vollzieht sich im Rahmen von Flügelpositionen. Das kann auch nicht anders sein, weil die SPD traditionell eine Programmpartei ist und aber auch häufig pragmatisch an Regierungen mitgewirkt hat. Es wird in der SPD daran festgehalten, dass die SPD als progressive Volkspartei wiedererstehen und damit große Teile der Wählerschaft an sich binden sollte. Von dieser Vorstellung wird sich die SPD allerdings verabschieden müssen. Volksparteien befinden sich in einem permanenten Sinkflug. Die Zeiten, in denen die CDU/CSU und die SPD gemeinsam mehr als 90 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnten, wie beispielsweise in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts, dürften endgültig vorbei sein. Das hat mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft zu tun, die inzwischen eine starke Individualisierung, Diversifizierung der Arbeitsverhältnisse und neue kulturelle Milieus aufweist und dadurch Großorganisationen wie Volksparteien, Kirchen und Gewerkschaften in Schwierigkeiten gebracht werden. Das hat auch Konsequenzen für linke Parteien. Sie müssen versuchen, für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen eine größtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung und in politischen Bündnissen zu erreichen. Linke Parteien werden daran gemessen werden, inwieweit sie die soziale Spaltung in der Gesellschaft zum Thema machen und diese zu bekämpfen versuchen.

Für die SPD wird das bedeuten, grundlegende Korrekturen am gesellschaftlichen System, das Helmut Schmidt als Raubtierkapitalismus bezeichnete, anzustreben und zu verwirklichen. Solange sie jedoch die Augen vor grundlegenden Entwicklungsgesetzen des Kapitalismus verschließt und nur die Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Auge hat, wird sie aus ihrer Abwärtsspirale nicht heraus kommen. Es muss begriffen werden, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse nur die Kehrseite der kapitalistischen Produktionsverhältnisse sind, die einer grundlegenden Veränderung bedürfen. Ein einfaches „ weiter so“ würde den Niedergang der SPD vollenden. Es besteht allerdings auf mittlere Frist die Chance eines linken Bündnisses, das die Austeritätspolitik beendet und eine ausgleichende Strukturpolitik sowie eine Weichenstellung auf einen evolutionären Prozess der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Umgestaltung in Richtung eines demokratischen Sozialismus vornimmt. Da hätte die SPD eine besondere Verantwortung als vermutlich quantitativ bedeutender Partner einer klar orientierten, flexiblen und regierungsfähig agierenden Linkspartei. Beide zusammen müssten den linken Flügel der Grünen unterstützen und darauf hinarbeiten, auf mittlere Sicht die grüne Gesamtpartei in ein linkes Reformbündnis zu integrieren.

(1) Siehe zum gesamten Komplex. Bischoff, Müller: Grundsatzdebatte in der SPD, Sozialismus aktuell vom 28.10.17