DIE SOZIALE LAGE IN DER BUNDESREPUBLIK VOR DER WAHL

DR
PETER BEHNEN
Die Betrachtung der augenblicklichen politischen Kräfteverhältnisse führt zu dem Schluss, dass ein grundlegender Politikwechsel in der Bundesrepublik nach der Bundestagswahl mehr als unwahrscheinlich ist (1). Der Stimmenanteil der CDU/CSU schwankt seit Monaten um die 40 Prozent und die SPD wird Schwierigkeiten haben, einen Anteil von 25 Prozent zu erreichen. Die Linke kann mit einem Anteil von 8-10 Prozent der Wählerstimmen rechnen, ebenso wie die FDP und die AFD. Die Grünen schneiden in Umfragen mit 7-8 Prozent noch am Schlechtesten ab. Allerdings sind am Wahltag Überraschungen nicht ausgeschlossen, da der Anteil der unschlüssigen Wahlberechtigten, die wählen wollen, mit 46 Prozent ungewöhnlich hoch ist. Offen ist somit, welche politische Konstellation sich mit der Bundestagswahl ergeben wird.

Die SPD mit Martin Schulz als Spitzenkandidat ist mit dem Versprechen angetreten, das Thema Soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt zu rücken. Schulz hat damit einen zentralen Nerv vieler Bürger getroffen, was anfangs zu einer großen Zustimmung für ihn führte. Die Zustimmung ist aber inzwischen erheblich zurückgegangen. Das liegt allerdings nicht daran, dass die Bürger und Bürgerinnen das Problem der Ungleichheit und sozialen Ungerechtigkeit aus den Augen verloren hätten. Eine aktuelle Umfrage des Instituts YouGov fand heraus, dass für 40 Prozent der WählerInnen die soziale Ungerechtigkeit weiterhin ein großes Problem der Bundesrepublik darstellt. Der Aussage, dass Reichtum und Macht sehr ungleich verteilt seien, stimmen 83 Prozent der Befragten zu. Die Ungerechtigkeit im Bereich Rente und Versorgung und auch bei der gesellschaftlichen Einkommensverteilung wird ebenfalls stark wahrgenommen. Die Integration von Einwanderern und die Themen Bildung und Arbeitslosigkeit folgen bei der Einschätzung der Befragten auf eher nachgeordneten Plätzen.

Das SPD -geführte Bundeswirtschaftsministerium stellt fest, die Einkommensschere ginge immer weiter auseinander und die Lohnungleichheit sei auf einem historisch hohen Niveau. Was die Tarifbindung von ArbeitnehmerInnen angeht, so gehe sie seit Jahren zurück. Sie liege derzeit bundesweit bei 56 Prozent und die Teilzeitarbeit und Minijobs hätten stark zugenommen. Der Grund hierfür ist in der politisch verursachten Deregulierung am Arbeitsmarkt zu suchen, was zu einem massiven Anstieg prekärer Beschäftigung und einem größeren Niedriglohnsektor geführt hat. Nach Angabe des Statistischen Bundesamtes geht jeder fünfte Erwerbstätige zwischen 15 und 64 Jahren einer atypischen Beschäftigung nach. Damit sind Lohnabhängige gemeint, die geringfügig oder befristet beschäftigt sind, in Teilzeit oder Zeitarbeitsfirmen arbeiten. Das betrifft inzwischen 7,7 Millionen Menschen in der Bundesrepublik bei 25,6 Millionen Erwerbstätigen in Normalarbeitsverhältnissen. Die Statistik des Statistischen Bundesamtes wird insoweit von dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen des DGB hinterfragt indem festgestellt wird, dass 2016 bereits 40 Prozent der Lohnabhängigen atypisch beschäftigt waren, wenn realistischere Abgrenzungskriterien vorgenommen würden.

Der Hintergrund für die drohende Altersarmut ist die politisch gewollte Absenkung des Rentenniveaus und für viele RentnerInnen ergibt sich der Zwang zur Weiterarbeit im Rentenalter. Deswegen ist der zentrale Ansatz zur Stärkung des gesetzlichen Rentensystems die Anhebung des Rentenniveaus bei einem System, das auf eine breitere finanzielle Grundlage gestellt wird. Zudem muss die Altersarmut bei Niedrigverdienern und Menschen mit stark unterbrochenen Erwerbsbiografien angegangen werden. Bei der SPD ist festzustellen, dass sie sich in vielen kleinen Änderungsvorschlägen verliert ohne ein gesellschaftspolitisches Gesamtkonzept zu haben. Es fehlt ein Zukunftskonzept, hinter dem sich verschiedene reformorientierte Parteien und politische Bewegungen versammeln können. Es muss für eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse und für massive Regulierungen am Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt, Finanzmarkt etc. gekämpft werden. Es gibt also einen erheblichen Reformbedarf in der Bundesrepublik. Ohne eine Bündelung der Reformanliegen bleibt es für die Mehrheit der Wähler und Wählerinnen bei der Option, sich für das geringste Übel zu entscheiden. Dem sollte sich die Linke durch die Ausarbeitung und Propagierung eines Gesamtkonzeptes entgegenstellen, das von vielen reformwilligen politischen Kräften getragen werden kann über den bevorstehenden Wahltag hinaus.

(1) Siehe hierzu: Bischoff/Müller, Zukunftskonzepte oder „kleinere Übel“? Sozialismus aktuell vom 26.8.17.