Martin Schulz, die Linke und die soziale Gerechtigkeit.

von

Dr. Peter Behnen

 

Zu Beginn des Jahres schien es so, als könnte mit Martin Schulz eine linke politische Alternative zur Großen Koalition möglich werden. Inzwischen ist der Schulz-Effekt dahin und der Höhenflug der SPD gestoppt. In dieser Situation fand der Parteitag zum Wahlprogramm der SPD statt, auf dem sie in den Angriffsmodus gegenüber der Kanzlerin und der CDU/CSU überging. Die programmatische Grundlage der Angriffsstrategie ist das neue Wahlprogramm. Es ist jetzt eine Aufgabe der Linken, dieses Programm genau zu analysieren und herauszufinden, ob bzw. welche Anknüpfungspunkte für eine weiterführende linke Politik gegeben sind (1).

Der Grundkonsens in der SPD ist, dass es um mehr soziale Gerechtigkeit gehen muss. Der wichtigste Hebel zur Annäherung an dieses Ziel ist im Wahlprogramm die Steuerpolitik. Es sollen kleine und mittlere Einkommen und Familien um jährlich 15 Mrd. Euro entlastet werden. Der Spitzensteuersatz und die Reichensteuer sollen leicht angehoben werden bei einem höheren Jahreseinkommen als bisher. Die Vermögenssteuer soll weiter auf Eis liegen, eine Parteikommission soll ihre Einführung prüfen. Schulz hat dagegen eine Erbschaftssteuerreform durchgesetzt mit dem Ziel, reiche Firmenerben stärker an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben zu beteiligen.

Schon an diesem Teil des Wahlprogramms ist erkennbar, dass es sich um einen sehr bescheidenen und zaghaften Schritt in Richtung einer sozialen Veränderung handelt. Das zeigt sich auch bei der Betrachtung anderer Politikbereiche. In der Rentenpolitik müsste man sich dem Problem stellen, dass ab 2036 jeder fünfte Neurentner von Armut bedroht sein wird. Die SPD widerspricht zwar Finanzminister Schäuble, dass die gesetzliche Rente auf Dauer durch privates Sparen ergänzt werden müsse, will aber das Rentenniveau lediglich auf dem heutigen Stand von 48% einfrieren. Diese Position bleibt hinter den Forderungen von Gewerkschaften und Sozialverbänden zurück. Bei der Arbeitsmarktpolitik will die SPD Arbeitslose nicht so schnell auf Hartz4-Niveau sinken lassen hält aber, trotz einiger Verbesserungen, grundsätzlich am Hartz4- System fest. Arbeitsverträge sollen nicht mehr ohne sachlichen Grund befristet werden können, auch das ist allerdings ein viel zu zaghafter Versuch, prekäre Arbeitsverhältnisse zu bekämpfen. Zu den weiteren Politikbereichen, wo es um mehr soziale Gerechtigkeit gehen soll, zählen die Asylpolitik, die Gleichberechtigungspolitik, die Studienfinanzierung und der Kitaausbau.

(1) Siehe hierzu Bischoff, Radke: Sozialismus aktuell vom 26.6.17
Insgesamt hält sich die Begeisterung für das Wahlprogramm der SPD bei den Grünen, den Gewerkschaften, den Sozialverbänden und vor allem auch der Linkspartei in Grenzen. Es ist zwar zu begrüßen, dass einer weitere Konsolidierungspolitik bei den öffentlichen Haushalten eine Absage erteilt wird und Haushaltsüberschüsse für öffentliche Investitionen eingesetzt werden sollen, die Investitionsoffensive fällt aber viel zu schwach aus. Die Kluft in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen zwischen Arm und Reich bleibt groß und die Transfereinkommen für RentnerInnen, Alleinerziehende und Menschen mit geringem Einkommen sind viel zu gering. Es führt allerdings nicht weiter, wenn wir zu harten Formeln der politischen Abgrenzung greifen und den Nutzen der SPD grundsätzlich in Frage stellen (Sahra Wagenknecht in der Welt vom 26.6.17). Es ist demgegenüber unsere Aufgabe, Halbheiten und Unzulänglichkeiten des SPD-Programms klar zu benennen und deutlich zu machen, dass auch andere Entwicklungen in Europa möglich sind.
Das zeigt beispielsweise die inzwischen starke Zustimmung zu Positionen von Jeremy Corbyn in Großbritannien. Hier war eine programmatische Erneuerung der Labour Party möglich, das heißt, die Forderung von mehr Investitionen im Schul- und Universitätssektor, Verbesserungen im Gesundheitswesen, die Wiederverstaatlichung von Post und Eisenbahn, die Abschaffung von Studiengebühren und die Erhöhung des Mindestlohnes. Die gewachsene Zustimmung für Corbyn ist begründet in seinem Plädoyer für eine sozial orientierte, klar formulierte und glaubwürdige Politik. Diesen Eindruck vermittelt Martin Schulz offensichtlich nicht. Die Linke in der Bundesrepublik wird aber nicht darauf verzichten können, eine wirkliche Strategiedebatte mit der SPD und den Grünen zu versuchen. Es reicht nicht die Anprangerung von Unfähigkeiten und Schuldzuweisungen zwischen den Parteien links der Mitte, Es geht darum, die Reformkräfte für eine Alternative gegen die soziale Spaltung im Land zu bündeln.