Welche Strategie muss die Linke verfolgen?

von

Dr.Peter Behnen

 

Die Diskussion um einen Politikwechsel in Berlin ist in der Linkspartei im vollen Gange. Das wirft die Frage auf, ob die Linke eine wirkliche Zukunftsstrategie vorzuweisen hat. 

  Gregor Mohlberg weist deswegen zu Recht auf Diskussionsanstöße hin, die u. a. von Vertretern der Zeitschrift „Sozialismus“ gegeben werden. (1) Es sind die Chancen von Kooperationsmöglichkeiten von SPD, den Grünen und der Linkspartei auszuloten. Dabei macht das neu gebildete Regierungsbündnis im Land Berlin Hoffnung, weil ein sehr ambitioniertes Regierungsprogramm vorgelegt wurde, bei dem es vorrangig um den Ausbau einer bürgernahen Kommunalverwaltung, ein qualitativ verbesserten öffentlichen Nahverkehr und eine neue Qualität in der Mietpolitik geht. Die Koalitionspartner tragen eine hohe historische Verantwortung. Es muss gelingen, in den nächsten Monaten die vereinbarten Projekte ansatzweise zu verwirklichen, das könnte ein wichtiges Signal für einen Politikwechsel auch auf Bundesebene sein.

 

Ebenfalls Oskar Lafontaine schließt als Spitzenkandidat der Linkspartei im Saarland für die Landtagswahl im März ein rot-rot-grünes Bündnis nicht aus, ebenso wie ein solches Bündnis nach der Bundestagswahl 2017. Stolpersteine bleiben allerdings das Nein der Linkspartei zur Nato und Militäreinsätzen im Ausland und vor allem auch die neoliberale Sanierungspolitik in der EU. Klar ist, dass nur ein Politikwechsel in der Berliner Republik der Schlüssel für eine Änderung der politischen Zusammenarbeit in Europa darstellt. Sahra Wagenknecht weist allerdings der EU die Hauptverantwortung für die Zerstörung Europas zu. Dem ist entgegenzuhalten, dass in Wirklichkeit die neoliberale Vorherrschaft der Bundesregierung die eigentliche Krisenursache ist. Es ist unzweifelhaft, dass die EU stark reformbedürftig ist, aber nicht die Geldordnung, wie Sahra Wagenknecht meint, ist das eigentliche Problem. Es fehlt in der Währungsunion ein Anpassungsmechanismus, der weit über Auf- und Abwertungen nationaler Währungen hinaus geht. Es muss eine übergreifende Gesamtbewegung des europäischen Kapitals etabliert werden, die ökonomische, soziale und politische Ausgleichsprozesse beinhaltet. Bisher kann die EU mit ihren Strukturfonds die wachsenden ökonomischen Unterschiede nur unzureichend bekämpfen. Durch ein umfassendes europäisches Reformprogramm, zum Beispiel ein groß angelegtes Investitionsprogramm, ließen sich die nationalen Divergenzen erfolgreich bekämpfen und die Stabilisierung der Währungsunion einleiten. Das geht aber nur, wenn die Bundesrepublik, die bisher eine harte Austeritätspolitik betrieben hat, nicht weiter ihre eigenen Interessen im Europäischen Rat durchsetzen kann. Wer das ändern will, muss sich mit den neoliberal orientierten Regierungen auseinandersetzen, bei uns also mit der Bekämpfung der jetzigen Regierungspolitik. Wer ein anderes Europa will, muss nicht an erster Stelle gegen Bürokraten in Brüssel vorgehen sondern gegen die neoliberale Politik im eigenen Lande. Mit der Forderung „Raus aus dem Euro“ rückt Sahra Wagenknecht faktisch an die Seite der Rechtspopulisten, mit einer allerdings anderen Argumentationsweise. Die Linkspartei sollte nicht die Vorstellung unterstützen, ein nationales Zwischenstadium brächte eine Lösung für die Probleme in Europa bzw. der Eurozone. Wenn dieser nationale Weg eingeschlagen würde, würde das zu erhebliche ökonomischen, sozialen und politischen Verwerfungen in Europa führen. Die Linkspartei sollte dafür eintreten, dass die progressiven Kräfte in Europa mit einer alternativen Wirtschaftspolitik, einer europäischen Ausgleichsunion, einer gemeinsamen Schuldenpolitik, einer europäischen Sozialunion und einer demokratisch gewählten europäischen Wirtschaftsregierung ein solidarisches Europa durchsetzen. Dadurch würde auch der Kampf gegen die Ressentiments aufgenommnen, denn aus ihnen speist sich der Erfolg des Rechtspopulismus.

 

Allein die Zusammenstellung eines rot-rot-grünen Bündnisses reicht jedoch nicht aus, sondern es muss ein im Alltagsleben erfahrbarer Politikwechsel vonstatten gehen. Dazu müssen SPD, Grüne und Linkspartei programmatisch aufeinander zugehen und einen Politikwechsel auf drei Ebenen ins Auge fassen:

  1. Es geht um ein Minimalprogramm für öffentliche Investitionen in nahezu allen Bereichen der zivilen Infrastruktur: neue Verkehrskonzepte, neue sozialen Dienste, bessere Bildungsmöglichkeiten und Kulturprojekte u. s. w.
  2. Es geht um die Öffnung des politischen Raumes zur Neubegründung Europas, zur Abkehr von der Austeritätspolitik und damit zu einer solidarischen Politik gegenüber den Krisenstaaten Europas.
  3. Es geht um die Verabschiedung eines Reformprogrammes und die Beschreitung eines alternativen Weges national und europaweit. Das wäre ein Signal gegen die Resignation nach mehr als drei Jahrzehnten neoliberaler Politik.

Oskar Negt hat das so formuliert: „ Wenn Utopie das ist, was ich darunter verstehe: die Erkenntnis einer als unerträglich empfundenen Situation, verknüpft mit dem bewussten Willen, die Verhältnisse zum Besseren zu verändern müssen aus Krisenherden Handlungsfelder werden.“(2) Die Mobilisierungserfolge von Bernie Sanders in den USA und Jeremy Corbyn in Großbritannien sollten Hoffnung geben und uns den Auftrag, ein Zeitfenster zu nutzen ehe es sich wieder schließt.

 

(1) Siehe Sozialismus Aktuell vom 29.11.16 und 9.12.16

(2) Siehe Oskar Negt, Blätter für dt. und intern. Politik 12/2016