Haben die EU und die Eurozone noch eine Zukunft?

Von Dr.Peter  Behnen                                                                                                                                                               

Der Brexit, die massenhafte Migration von Schutzsuchenden nach Europa seit 2015 und die schon Jahre andauernden Probleme der Eurozone haben die tiefe Krise der EU verdeutlicht. Dadurch wurde die Frage aufgeworfen, welchen Stellenwert die europäische Integration für eine sozialistische Politik noch hat und welche Position die Linke allgemein zur real existierenden EU einnehmen soll? (1)

 

Das europäische Projekt galt für die herrschenden Eliten nach dem 2.Weltkrieg als das große Friedensprojekt. Unvergessen ist die Rede Winston Churchills aus dem Jahre 1946, in der er die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa forderte, wenn Europa in Frieden und Wohlstand leben wolle. Dieses Projekt Europas wurde schon bald zu einem rein ökonomischen Projekt und ist nach dem Zerfall des Staatssozialismus mehr und mehr zu einem Projekt des neoliberalen Abbaus der nationalen Sozial- und Wohlfahrtsstaaten geworden. Darüber hinaus hat die EU in offensiver Weise, vermittelt über die Mitgliedschaft in der Nato, zur Ausdehnung des US-Einflusses und der Erschließung neuer Märkte für das EU-Kapital beigetragen. Die Erweiterung der EU erfolgte als Ost- und Südosterweiterung ab 2004. Es besteht allerdings kein Zweifel, dass diese Erweiterung mit klarer Unterstützung der jeweiligen Bevölkerung geschah, die sich einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung erhoffte. Dass das weitgehend illusionär war     zeigte sich bald, ohne dass die Beitrittsentscheidung von größeren Teilen der Bevölkerung in Frage gestellt wurde. Das alles geschah, obwohl die finanzkapitalistische Deregulierung viele Menschen mit erheblichen negativen sozialen Folgen belastete. Da liegt auch die wesentliche Ursache für die Tatsache, dass Schutzsuchende mit zum Teil rassistischen Argumenten abgelehnt wurden und rechtspopulistische Kräfte in vielen dieser Länder Auftrieb erhielten. Das kann als spätes Resultat der unter neoliberalen Vorzeichen durchgeführten Modernisierung nach ihrem EU-Beitritt angesehen werden.

 

Teilweise wird auf Basis dieser Vorgeschichte auch von Vertretern der antikapitalistischen- orthodoxen Linken die Konsequenz gezogen, dass nicht eine weitere Fortsetzung der europäischen Integration sondern die Re-

orientierung auf national-staatliche Strukturen der sozialistischen Umgestaltung des Kapitalismus am besten dienen würde. Dieser Teil der Linken kann sich die europäische Integration offensichtlich nur als ein neoliberales Elitenprojekt vorstellen. Darin kommt zum Ausdruck, dass prinzipiell supranationale Integrationsprozesse im Kapitalismus für kontraproduktiv gehalten werden. Diese Position wird nicht nur von traditionellen marxistisch-leninistischen Parteien vertreten, wie zum Beispiel der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), sondern hat auch Einzug in Teile der demokratisch-sozialistischen Linken gefunden. Abgesehen von der Illusion dieser Linkskräfte, dass eine Rückkehr zur nationalen Ebene die Bedingungen des Kampfes gegen den Kapitalismus verbessern könnte, ist auffallend, dass jegliche alternative Konzeption für einen Euro-Austritt oder sogar EU-Austritt fehlt. Außerdem führt ihre Orientierung zu einem Rückzug in der Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Kräften, die die Existenz des Euro und der europäischen Integration im Interesse des Kapitals verteidigen wollen. Um Kettenreaktionen beim Ausscheiden aus dem Euro bzw. der EU zu vermeiden, ist damit zu rechnen, dass diese bürgerlichen Kräfte Vorurteile, die in der Gesellschaft zum Beispiel gegen Ausländer und Schutzsuchende existieren, für ihre Interessen zu instrumentalisieren versuchen.

 

Daraus muss die Linke die Konsequenz ziehen, dass es auch und gerade den Interessen der Lohnabhängigen und sozial Schwachen dient, dass nicht hinter die erreichten supranationalen Integrationsergebnisse zurückgefallen werden darf, wenn eine zukunftsorientierte Politik gemacht werden soll. Das kann natürlich nicht bedeuten, dass die bestehenden Strukturen und die betriebene Politik im Rahmen der europäischen Integration von Seiten der Linken akzeptiert werden. Einerseits betrifft dies die expansive Ausrichtung der EU an der Seite der USA, andererseits die Maßnahmen der Krisenbewältigung wie die Fiskal- und Bankenunion. Damit ist verbunden eine Kritik an der europäischen Sozialdemokratie, die sich in das Schlepptau bürgerlicher Politik begeben und dazu beigetragen hat, dass sich zum Beispiel durch die sogenannte Schuldenbremse die Bedingungen einer alternativen Politik stark verschlechterten. Im Gegensatz dazu ist es Aufgabe der Linken, die tieferliegenden Ursachen der Überschuldung von Banken, Staatshaushalten und Privaten sowie die ausgelöste humanitäre Katastrophe in den Krisenstaaten der EU darzustellen. Sie muss deswegen ein wirksames Krisenbekämpfungsprogramm vorlegen. Dieses Programm muss sowohl eine kurze als auch mittel-und langfristige Perspektive besitzen. Für die kurze Frist sind Maßnahmen zu ergreifen, die die Regulierung der Finanzmärkte, eine soziale Korrektur der Einkommens- und Vermögensverteilung, eine Einnahmeverbesserung der öffentlichen Haushalte durch eine soziale Steuerpolitik und öffentliche Beschäftigungsinitiativen angehen. (2) Mittel- und langfristig muss die Perspektive eines vereinheitlichten Wirtschaftsprozesses in Europa, einer weitgehenden Steuerung des realwirtschaftlichen Sektors und Finanzsektors und einer neuen Weltwirtschafts- und Währungsordnung eröffnet werden.(3) Für die kurze Frist ist dabei in Rechnung zu stellen, dass die EZB in der Rolle des letzten Kreditgebers (Lender of last resort) überfordert wird, wenn sich die Verhältnisse in der reproduktiven Sphäre ( Industrie und Dienstleistungen) und im Finanzsektor weiter zuspitzen. Mittel und langfristig sind, wie bereits erwähnt, die EU bzw. Eurozone so zu entwickeln, dass die strategischen Ziele einer europäischen Integration und eines europäischen Bundesstaates als sozialistisches Projekt möglich werden. Für diese Zielsetzung ist die Mehrheit der europäischen Bevölkerung zu gewinnen. Das wird allerdings nicht gehen, wenn es nicht auch in der Bundesrepublik als Hegemonialmacht zu einem demokratisch-sozialistischen Politikwechsel kommt. Wenn also in Europa ein politisches Umsteuern erreicht werden soll, ist dafür ein Umsteuern in den einzelnen Nationalstaaten der EU bzw. Eurozone, insbesondere bei den stärksten Mitgliedern, unbedingt erforderlich. Das bedeutet für eine sozialistische Entwicklungsperspektive, die faktischen Verhältnisse als Ausgangspunkt anzuerkennen und auf dieser Basis einen politischen Wechsel in Richtung Weiterführung der europäischen Integration mit sozialistischer Perspektive in Angriff zu nehmen. Das bedeutet auch, die politische Frontstellung der EU gegenüber der Russischen Föderation und der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft zu überwinden. EU und Eurozone haben somit nur dann eine Zukunft, wenn kurz- mittel- und langfristig der Weg zu einer solidarischen Politik gefunden wird.

 

1)    Siehe hierzu: Stephan Krüger, Wirtschaftspolitik und Sozialismus, Hamburg 2016.

2)    a. a. O. S.150- 233

3)    a. a. O. S.453-546