Der Brexit als Zäsur für Europa.

von Dr. Peter Behnen

Knapp 52 Prozent der britischen Wähler stimmten für das Ausscheiden Großbritannien aus der EU, bei einer Wahlbeteiligung von 72 Prozent. Damit ist der vieldiskutierte Brexit Wirklichkeit geworden. Die unmittelbaren Folgen waren die Ankündigung des Rücktritts durch David Cameron, eine erhöhte Unsicherheit auf den Finanzmärkten mit Kursstürzen und das Absacken des Pfundkurses um 30 Prozent. Dem Wählervotum vorausgegangen war eine hoch emotionale politische Auseinandersetzung in Großbritannien. Eine brutale Zuspitzung erhielt die Auseinandersetzung durch das Attentat auf die Labour-Abgeordnete Jo Cox. Eine wachsende Nervosität herrschte auch bei den EU-Institutionen. Es wurden massive Warnungen von den Gegnern eines Brexit vorgetragen. Das Institut für Finanzstudien (IFS), das als unabhängig gilt, rechnete vor, dass der britische Staatshaushalt in den kommenden vier Jahren 37 Mrd. Euro einsparen müsse, um das finanzielle Loch, das durch den Brexit entstünde, zu schließen. Die britische Regierung warnte davor, dass das Gesundheitswesen, Bildungswesen und auch die Altersrenten vom Sparkurs betroffen sein könnten. David Cameron und die konservative Pro-EU-Kampagne „ Britain stronger in Europe“ erreichten allerdings die Mehrheit der britischen WählerInnen auf diese Weise nicht mehr.

Das dominierende Thema in Großbritannien blieb die Immigration. Die starke Zuwanderung entstand schon deswegen, weil die Labour-Regierung unter Tony Blair im Jahre 2004 bei der EU-Osterweiterung den Arbeitsmarkt sofort für neue Mitglieder geöffnet hatte. In den letzten Jahren haben zudem die höheren Wachstumsraten der britischen Wirtschaft viele Einwanderer angezogen, etwa die Hälfte dieser Einwanderer kam aus der EU. Die Entwicklung des Lebensstandards in Großbritannien gestaltete sich regional recht unterschiedlich, in London und Südengland eher positiv, negativ und mit großen sozialen Problemen in Nordengland. Vor diesem Hintergrund entwickelte das Thema Immigration eine besondere Sprengkraft. Der Hauptgrund für viele Briten, die EU zu verlassen, liegt in der Auffassung, so könne die Zuwanderung besser kontrolliert und beschränkt werden. Das Votum in Großbritannien offenbart, dass die britische Gesellschaft tief gespalten ist. Ein Ergebnis des Votums ist die Erkenntnis, dass mit zunehmendem Alter der WählerInnen auch die euroskeptische Haltung zunimmt. Regional gesehen zeigte sich, dass in Schottland und Nordirland und im Großraum London das proeuropäische Votum dominierte, den Gegensatz dazu bildete die massive Unterstützung des Brexit in Wales und allen anderen Regionen Großbritanniens. Die politische Spaltung wird auch dadurch offenbar, dass die WählerInnen der Ukip zu 90 Prozent für den Brexit votierten ebenso wie die Mehrheit der Tory-WählerInnen. Das konnte durch die Gegner des Brexit nicht kompensiert werden.

 

Abgesehen von übertriebenen Warnungen der Brexit-Gegner sind aber folgende Aspekte von Bedeutung:

 

  1. London als Finanzplatz dürfte einen Teil seiner Geschäfte an andere Finanzplätze verlieren, die einen vollen Zugang zum europäischen Binnenmarkt haben.
  2. Der Brexit reduziert das wirtschaftliche und politische Gewicht Großbritanniens als Handelspartner der EU.
  3. Der Austritt Großbritanniens, das mehr in den EU-Haushalt eingezahlt hat als es zurück bekam (Nettozahler), führt zu höheren finanziellen Belastungen der verbleibenden EU-Mitglieder.
  4. Es ist damit zu rechnen, dass es eine Lockerung des Verhältnisses von Schottland und Nordirland zu Großbritannien geben wird.
  5. Die Benelux-Staaten werden wegen ihrer engen Verflechtung mit Großbritannien vom Brexit stärker betroffen sein als die Mitgliedsländer im Süden und Osten Europas.
  6. Die politischen Gewichte in der EU werden sich verändern. Da die Briten eine harte neoliberale Linie vertreten haben, könnte durch den Austritt Großbritanniens ein stärkeres Gewicht der Staaten entstehen, die eine Regulierung der Wirtschaft bevorzugen.

 

Praktisch bedeutet der Brexit, dass Großbritannien nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages die EU-Mitgliedschaft aufkündigen muss. Der Artikel sagt außerdem, dass Großbritannien noch für maximal zwei Jahre Mitglied der EU sein kann. In dieser Zeit muss das zukünftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien geregelt werden. Kommt es zu keinem Abschluss, ist die EU-Mitgliedschaft endgültig beendet, Die Bedingungen der Beendigung werden durch die verbleibenden Mitglieder festgelegt, das bedeutet, ein Teil der verbleibenden Mitglieder werden wohl um Kettenreaktionen zu vermeiden die Bedingungen nicht einfach gestalten wollen.

 

Mit welchen politischen Folgen des Brexit hat die EU zu rechnen?

 

Die Gewinner der britischen Entscheidung sind die Rechtspopulisten in Großbritannien und in Europa allgemein. Unter dem Motto „Patriotischer Frühling“ hat sich inzwischen eine Formation von 9 rechtspopulistischen Parteien, unter Einschluss der AFD, gebildet. Nach Ansicht von Marine Le Pen von der Front National wird der Brexit dem Rechtspopulismus Auftrieb geben. In die gleiche Richtung gehen Äußerungen von Heinz-Christian Strache von der FPÖ. Die Frage für die Linke lautet somit, welche progressiven Antworten der Brexit bringen müsste? Eine rationale und fortschrittliche Antwort hat Jeremy Corbyn von der Labour Party schon vor dem Brexit gegeben. Er hat zusammen mit dem britischen Gewerkschaftsbund TUC für eine Erneuerung der Politik in der EU mit dem Ziel der Beendigung der Austeritätspolitik plädiert. Er will eine Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur im Verbund mit einer inklusiven Sozialpolitik durchsetzen. Diese Perspektive wird auch von der Linken Südeuropas geteilt wurde allerdings in der deutschen Sozialdemokratie nur verhalten aufgegriffen. Sigmar Gabriel verlangt zwar inzwischen eine „ Kampfbereitschaft der demokratischen Linken“, doch wird dieser Aufruf ins Leere laufen, wenn nicht der Dialog mit sozialistischen, sozialdemokratischen und linken Parteien und Regierungen gesucht wird, die um einen politischen Kurswechsel in Europa ringen. Wäre die deutsche Sozialdemokratie zum Umdenken bereit, auch gegenüber Griechenland, Spanien und Portugal, wäre das eine reale Chance zu einem Politikwechsel in Europa. Die Konservativen sprechen augenblicklich ebenfalls von einem Kurswechsel, aber es ist nicht damit zu rechnen, dass damit ein Abgehen von den Fehlentwicklungen der Austeritätspolitik gemeint ist. Daher ist es unverzichtbar, dass die Linke ihre Reformvorstellungen für ein soziales und demokratisches Europa massiv vorträgt.

 

(1) Siehe hierzu: Bischoff, Kuhls, Radke. Brexit: Britannien verlässt die EU, Sozialismus aktuell vom 24.6.16