Sarah Wagenknecht und der Weg zum Sozialismus.

von

Dr.Peter Behnen

Das neoliberale Denken beherrscht das Denken in Politik und Wirtschaft seit vielen Jahren, auch und gerade in der Wirtschafts- Sozial- und Finanzpolitik. Umso wichtiger ist es, dass die Partei „Die Linke“ theoretisch gut begründete Vorschläge zur Lösung der Finanzkrise, Eurokrise und Flüchtlingskrise macht. Die theoretische Grundlage sollte dabei der Rückgriff auf die Marxsche Theorie und bestimmte Elemente der Keynesschen Theorie sein.

 

Sahra Wagenknecht hat nun 2011 und 2016 zwei Texte vorgelegt, mit denen sie versucht, einen Beitrag zur theoretischen Positionierung der Linken zu leisten (1). Die Linke hatte schon vor 2011 eine Vielzahl kritischer Analysen zum Finanzkapitalismus und zur Finanzkrise 2007 vorgelegt. Zu nennen sind u. a. Elmar Altvater, Joachim Bischoff und Lucas Zeise. Auch Sahra Wagenknecht hatte bereits in verschiedenen Aufsätzen den Finanzkapitalismus gegeißelt, sich für eine Politik der Verstaatlichung ausgesprochen und einen „Sozialismus des 21.Jahrhunderts“ von Hugo Chavez befürwortet. In ihrem Text „Freiheit statt Kapitalismus“ von 2011 stellte Sahra Wagenknecht richtigerweise fest, dass ein großer Teil der bundesdeutschen Bevölkerung eine neue Wirtschaftsordnung wünscht aber keine politische Kraft sieht, der eine neue systemverändernde Politik zugetraut wird. Inzwischen, 5 Jahre später, vollzieht sich bei uns eine Wende ganz anderer Art, der Aufstieg des Rechtspopulismus. der berechtigterweise auch von Sahra Wagenknecht scharf kritisiert wird. Im Jahre 2011 allerdings kam Sahra Wagenknecht nicht zu dem Ergebnis, dass es nun auf Basis der Marxschen Theorie und der Keynesschen Theorie darauf ankomme, die absehbare Deformierung demokratischer Strukturen im Finanzkapitalismus im Zusammenhang mit anderen linken Positionen näher zu bearbeiten. Im Gegenteil, sie versuchte eine Diskussionsbasis mit „offenen und fairen Marktwirtschaftlern“ zu eröffnen, um zu einem „kreativen Sozialismus“ zu kommen (2). Sahra Wagenknecht will „ an einer progressiv-bürgerlichen Zivilisierung des Kapitalismus ansetzen, diese radikalisieren und ihr so eine neue kreativ sozialistische Eigentumsordnung abringen.“(3) Sie will Begriffe wie Leistung und Wettbewerb nicht der bürgerlichen Seite überlassen und bezieht sich dabei auf den „guten Ordoliberalismus“ von Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack und Wilhelm Röpke aus der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Sie setzt diese Vertreter des Liberalismus, an deren Vorstellungen sie anknüpfen will, von Vertretern des reinen Wirtschaftsliberalismus ab. Sahra Wagenknecht steht für eine Eigentumsordnung, in der nicht Großunternehmen und das Finanzkapital im Vordergrund stehen und trifft sich dabei mit den Vorstellungen zur sozialen Marktwirtschaft der Vertreter des Ordoliberalismus. Gut geführte, erfolgreiche und leistungsfähige Familienunternehmen gelten ihr als der Gegenentwurf zum renditegetriebenen Großkonzern. Großkonzerne seien in die öffentliche Hand zu überführen oder in Belegschaftseigentum zu verwandeln. Kleine Unternehmen sollten in der Hand der Gründer bleiben, weil sie sie ja aufgebaut hätten, und erst bei entsprechendem Wachstum sollten sie in Belegschaftseigentum kommen und zu einer Art marktsozialistischen Eigentumsordnung führen.

 

Das Problem bei Sahra Wagenknecht ist nun aber, dass sie den Übergang in eine neue Eigentumsordnung in erster Linie am klassischen Familienunternehmen präsentiert und insoweit einen Kapitalismus vor Augen hat, der auch beim Ordoliberalismus als Idealbild des Kapitalismus auftritt. Der Kapitalismus heute ist allerdings ein Kapitalismus, bei dem eine Trennung von Eigentum und Funktion stattgefunden hat, das heißt, Kapitalgesellschaften das Wirtschaftsleben dominieren. Diese Entwicklung ist eine gesetzmäßige Entwicklungstendenz des Kapitals bis hin zum Finanzkapitalismus und nicht, wie Sahra Wagenknecht und der Ordoliberalismus meinen, eine Degenerierung des Kapitalismus. Insoweit ist nicht die Konzentration auf ein Idealbild des Kapitalismus vonnöten, sondern es ist Aufgabe der Linken, Vorschläge zu machen, wie die Beschäftigten in den Kapitalgesellschaften die ökonomische Entwicklung mitbestimmen bzw. ganz bestimmen können. Ferner muss die Shareholder-Value-Orientierung gebrochen, die gesamtgesellschaftliche Steuerung unter Einbeziehung der Kapitalgesellschaften entwickelt und gezeigt werden, wie ein umgebautes Kreditsystem in diese Aufgaben einzubinden ist. Das ist jedoch eine ganz andere Orientierung als das Anknüpfen an den Wettbewerbskapitalismus des Ordoliberalismus durch Sahra Wagenknecht.

 

Eine Vielzahl von kritischen Wissenschaftlern, auch Nichtmarxisten, haben sich schon lange mit dem Kapitalismus auseinandergesetzt. Es ist auffallend, dass Sahra Wagenknecht gerade auf diese bei der Interpretation des Finanzkapitalismus nicht zurückgreift. Beispielhaft sei Karl Polanyi genannt. Er geht davon aus, dass die Katastrophen des Kapitalismus in dem utopischen Bemühen des Wirtschaftsliberalismus begründet seien, ein sich selbst regulierendes Marktsystem zu errichten. Zu diesem Zweck baue das System immer wieder Selbstschutzwälle auf, zum Beispiel den New Deal in den USA und den Wohlfahrtsstaat nach dem 2.Weltkrieg in Deutschland und Großbritannien. Auch J. M. Keynes begründete durch seine Schriften einen Abschied vom Laissez – Faire- Kapitalismus und eine profunde Kritik des Kapitalismus in bürgerlicher Form. Der Liberalismus versuchte deswegen zu retten was zu retten ist. Walter Lippmann legte 1938 einen Text vor (The Good Society), in dem er sich gegen den Laissez- Faire- Kapitalismus aber auch kollektivistische Ansichten, gemeint sind der Nationalsozialismus und der Staatssozialismus, wandte. Hier ist die Geburtsstunde des Neoliberalismus. Die Entwicklung mündete schließlich in den Kampf gegen die Keynessche Theorie und den Keynesianismus unter Führung von Friedrich von Hayek. Auch Walter Eucken, auf den sich Sahra Wagenknecht laufend bezieht, sieht Keynes als den Gegenpol zum Ordoliberalismus. Mit Ludwig Erhard wurde dann auch in der frühen Bundesrepublik die Richtungsentscheidung gegen Keynes, gegen Umverteilung und Sozialstaat, gegen Mitbestimmung und gegen einen starken wirtschaftspolitisch tätigen Staat getroffen. Dem Ordoliberalismus ging es um einen Staat, der die Rahmenbedingungen für einen Wettbewerbskapitalismus schaffen sollte. All diese Zusammenhänge sind bei Sahra Wagenknecht nicht zu lesen. Sie will an dem Ordoliberalismus anknüpfen und hält ihn für eine Grundsäule des Sozialstaats. In Wirklichkeit musste die Entwicklung Richtung Sozialstaat gegen die Erhardsche Politik vor allem durch gewerkschaftliche Kämpfe durchgesetzt werden.

 

Bisher bezog sich die linke Kritik an den Vorstellungen von Sahra Wagenknecht vor allem auf den Text „Freiheit statt Kapitalismus“ von 2011. Es ist zu sehen, ob in ihrem neuen Text „Reichtum ohne Gier“ von 2016 eine Neuorientierung vorgenommen wurde, die die Linke weiterbringen kann.(4) Vor allem geht es auch darum zu sehen, ob über Marx und Keynes ein neuer Weg beschritten wurde.

 

Der neue Text von 2016 wurde gleich von verschiedenen Seiten besprochen. Die politische Botschaft des Textes wurde von bürgerlicher Seite als Abwendung von der EU und dem Euro und der Rückkehr zum Nationalstaat wahrgenommen (5). Michael Wendl sieht in dem Text einen Versuch, „ eine Synthese mit zentralen Thesen des Ordoliberalismus als der speziell deutschen Variante des internationalen Neoliberalismus (vorzunehmen P.B.)“(6). Der Text enthält drei zentrale Botschaften:

 

1. Er folgt weiter dem Ideal des ordoliberalen Konzepts.

2. Er weist eine spezielle Sicht des Bankensystems auf.

3. Er versteht Wirtschaftsdemokratie als eine Demokratie von Eigentümern.

 

Erstens folgt Sahra Wagenknecht weiter der Auffassung des Ordoliberalismus, dass es eine scharfe Trennung von reiner Marktwirtschaft und Kapitalismus geben müsse. Der Kapitalismus sei eine degenerierte Form der Marktwirtschaft. Ohne einen staatlichen Ordnungsrahmen komme es zu einer Vermachtung der Märkte. Es wird nicht gesehen, dass aus Sicht der Marxschen Theorie hier ein gesetzmäßiger Entwicklungsprozess vorliegt, der zur Konzentration und Zentralisation des Kapitals führt. Eine reine Marktwirtschaft hat historisch nie existiert und wurde von Marx als Spiegelbild des Kapitalismus an der Oberfläche der Gesellschaft dargestellt. Sahra Wagenknecht kommt aufgrund dieser Struktur des Kapitalismus theoretisch ins Schwimmen. Sie schwankt bei ihrer Erklärung des Profits zwischen der Arbeitswertlehre von Smith und Ricardo und der Erklärung von Joseph Schumpeter, der im Profit nur einen Pioniergewinn innovativer Unternehmer sieht, der bei vollständiger Konkurrenz wieder gegen Null gehe. Sahra Wagenknecht stimmt hier Schumpeter zu und gerät damit unversehens in einen Gegensatz zur Arbeitswerttheorie (7). Auch sie schreibt Profite einem temporären Monopol zu, die in der Konkurrenz wieder verschwänden. Sie folgt damit ebenfalls dem Ideal der kleinen Einheiten und des vollständigen Wettbewerbs. Marx hatte im Gegensatz dazu viel Mühe aufgewandt um zu zeigen, wie durch den Verkauf der Arbeitskraft Mehrwert produziert werden kann und der Arbeitstag in notwendige und Mehrarbeitszeit aufgeteilt wird. Im Kapitalismus findet Produktion nur statt, wenn ein Mehrwert (Profit) vom Kapitalisten angeeignet werden kann. Das Thema verliert Sahra Wagenknecht durch ihren Rückgriff auf den Ordoliberalismus ganz aus dem Auge, was sich allerdings bereits in ihrem Text von 2011 zeigte.

 

Zweitens orientiert sich Sahra Wagenknecht an der Geld- und Kredittheorie von Joseph Schumpeter. Schumpeter geht davon aus, dass die Kreditvergabe der Banken durch ihre Geldschöpfung erfolge, was wichtig sei für den Pioniergewinn innovativer Unternehmen. Wagenknecht kritisiert daran, dass so das Geld nicht in realwirtschaftliche Kanäle sondern in die Finanzwirtschaft gelenkt werde. Das ist nur teilweise richtig. Die EZB und die Banken können durch eine lockere Geldversorgung die Finanzmärkte vor dem Zusammenbruch bewahren. Außerdem werden durch die Nullzinspolitik Schuldner entlastet und Gläubiger belastet und kann damit der Realwirtschaft ein positiver Impuls gegeben werden. Richtig ist natürlich, dass ein eventueller Geldüberhang, sofern er nachfragewirksam wird, auf lange Sicht abzubauen ist. Das kann aber nicht zur Konsequenz führen, grundsätzlich eine Geldschöpfung von EZB und Banken abzulehnen. Da fällt Sahra Wagenknecht in eine monetaristische Sichtweise zurück, um dann wieder in eine andere Richtung zu gehen, indem sie die Geldversorgung dem Konjunkturverlauf anpassen will, was eine flexible Geldversorgung auch im Sinne von Keynes ermöglicht. Was bei Sahra Wagenknecht bleibt, ist ein Hin und Her bei den Vorschlägen zur Geldpolitik zwischen dem Monetarismus einerseits und Schumpeterschen und Keynesschen Vorstellungen andererseits. Von einem Versuch, eine marxistisch begründete Geld- und Kreditpolitik vorzulegen, ist sie allerdings weit entfernt.

 

Drittens ist es ein wichtiges Ziel der Linken, den Einfluss des Staates auf die Steuerung von Investitionen der Unternehmen zu stärken. Es wird der makroökonomischen Investitionssteuerung durch staatliche Strukturpolitik eine besondere Bedeutung zugemessen. In diesem Rahmen ist dann auch das Thema Wirtschaftsdemokratie zu behandeln. Sahra Wagenknecht steigt in das Thema Wirtschaftsdemokratie dagegen über den Wettbewerb kleiner und mittlerer Unternehmen mit persönlich haftenden Gesellschaftern ein. Sie versteht Wirtschaftsdemokratie als Eigentümerdemokratie. Dabei wird Demokratie vorwiegend national gedacht ebenso wie die reine Marktwirtschaft national sein soll, um sie regulieren zu können. Das führt sie dann auch zu dem Vorschlag, dass demokratische Staaten ihre eigene Währung halten sollten und ansonsten durch Kapitalverkehrskontrollen untereinander zu regulieren seien. Dabei fällt Sahra Wagenknecht weit hinter Keynes zurück, der bereits 1943 Vorschläge zur Fortentwicklung des internationalen Währungssystems unterbreitet hat und die Etablierung einer „Internationalen Clearing Union“ forderte (8). Wagenknecht bietet demgegenüber nur eine Rückentwicklung hinter den Stand der Europäischen Währungsunion an und trifft sich dabei wieder mit Vertretern des heutigen Ordoliberalismus.

 

Insgesamt muss gesagt werden, dass bei Sahra Wagenknecht exemplarisch gezeigt werden kann, dass ordoliberales und damit neoliberales Denken auch bis in die Linke vorgedrungen ist. Das galt schon in den 1990er Jahren für die Labour Party Tony Blairs und bald darauf für die Schrödersche SPD. Bei Gabriel und auch Wagenknecht heute wird der Bezug auf den Ordoliberalismus positiv vorgetragen, während der früheren SPD noch bewusst war, dass das ein politisches Konzept der CDU war. Die SPD orientierte sich damals zwar nicht am originären Keynes aber zumindest an einer Form des Keynesianismus. Von einer heutigen Linkspartei sollte man dagegen erwarten, dass zentrale Thesen von Keynes und vor allem auch die Marxsche Theorie die theoretischen Grundlagen der politischen Arbeit darstellten. Anhand der Marxschen Theorie ließe sich zeigen, wie sich ökonomische Zusammenhänge in verdrehter Form im alltäglichen Bewusstsein der Menschen darstellen und wie die herrschende ökonomische Wissenschaft versucht, einen inneren Zusammenhang und eine verständige Ordnung in dieses alltägliche Bewusstsein zu bringen (9). Marx bezeichnet diese Form der Ökonomie als Vulgärökonomie und in diesem Sinne muss der Ordoliberalismus als eine moderne Variante der Vulgärökonomie interpretiert werden. Dass heute sowohl in der SPD als auch bei Teilen der Linkspartei das Leitbild des Ordoliberalismus wieder Anklang findet hat damit zu tun, dass im Finanzkapitalismus mit seinen Krisen die Versuchung größer wird, zu vergangenen Visionen und Konzepten zu flüchten. In dieser einfachen Welt des Neoliberalismus haben weder Marx noch Keynes Platz. Sahra Wagenknecht hält zwar am Ziel der Transformation des Kapitalismus fest, reflektiert dabei aber eine Form der reinen Marktwirtschaft, die es so nie gegeben hat. Insoweit ist es eine Aufgabe der Linkspartei und der Linken allgemein, eine vorwärtsgerichtete Alternative zum Kapitalismus zu entwickeln und dann auch zu propagieren(10). Ansonsten bliebe nur eine konservative Kapitalismuskritik   verbunden mit einem linken Nationalismus.

 

(1) Siehe Sahra Wagenknecht: Freiheit statt Kapitalismus, Frankfurt 2011 und Sahra Wagenknecht: Reichtum ohne Gier, Frankfurt 2016.

(2) Zur Kritik siehe vor allem: Sozialismus 7/8 aus dem Jahre 2011 und Sozialismus 5 aus dem Jahre 2016.

(3) Joachim Bischoff und Christoph Lieber: Sozialismus 7/8 S.40

(4) Siehe vor allem Michael Wendl: Sozialismus 5/2016 S. 43-46

(5) Siehe u.a. Peter Gauweiler: Süddeutsche Zeitung vom 29.3.2016

(6) Michael Wendl a.a.O. S.43

(7) Damit ist nicht die Werttheorie von Marx gemeint. Sie ist zu unterscheiden von der sogenannten Arbeitswerttheorie von Smith und Ricardo. Marx zeigt im Gegensatz dazu, wie durch die Struktur der bürgerlichen Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen die ökonomischen Zusammenhänge verschleiert werden und sich auch im Bewusstsein der Menschen verdreht darstellen.

(8) Siehe dazu Stephan Krüger: Wirtschaftspolitik und Sozialismus, Hamburg 2016.

(9) Siehe Karl Marx: Das Kapital Band 1-3 MEW 23-25 Berlin 1974.

(10) Siehe Stephan Krüger a.a.O. Hamburg 2016.