Was lernen wir aus dem Rechtsruck in der Bundesrepublik?

Von Dr.Peter Behnen

Was lange bestritten und verniedlicht wurde ist eingetreten, der Rechtspopulismus hat sich auch in der Bundesrepublik festgesetzt. 8,7 Millionen Wahlberechtigte haben in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ihre Stimme abgegeben. Die Wahlbeteiligung lag zwischen 60 und 70 Prozent. Das Problem der großen Zahl von Nichtwählern ist zwar nicht behoben, allerdings hat die Debatte um die Flüchtlingsfrage die Wahlbeteiligung erhöht. Profitiert davon hat vor allem die AFD. Sie erreichte in den drei Bundesländern zweistellige Ergebnisse und setzt damit die gewohnten Regeln der Regierungsbildung außer Kraft.
Die etablierten Parteien geben sich erschüttert bis schockiert, ohne dass im Rahmen einer Selbstkritik die Politik der letzten Jahrzehnte hinterfragt würde. Die Standarderklärung für den Aufstieg der AFD lautet:

Die Flüchtlingsfrage hat alle politischen Konzepte überdeckt. Die AFD hat den Protest gegen die Flüchtlingspolitik aufgegriffen und mit einfachen rassistischen und fremdenfeindlichen Formeln Kapital geschlagen.

Richtig daran ist, dass die Flüchtlingsfrage heute viele Alltagsprobleme überlagert, allerdings drückt sich darin vor allem die Angst und Unsicherheit über die weitere Entwicklungsrichtung unserer Gesellschaft aus. Der einfache Verweis auf die Flüchtlingsfrage erweist sich schnell als Ausflucht, wenn gesehen wird, dass es schon seit Jahrzehnten fremdenfeindliche, antisemitische und islamfeindliche Ressentiments gibt, völlig unabhängig von der Flüchtlingsfrage. Schon seit geraumer Zeit weisen etwa 20 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik derartige Ressentiments auf, so wie in anderen EU-Ländern auch, wo sich rechtspopulistische Parteien längst etabliert haben. Vor dem Hintergrund des anwachsenden Flüchtlingsthemas konnte der fremdenfeindliche Bodensatz rasch aktiviert werden und die AFD mit einen großen Dynamik Zulauf gewinnen. Das begann nach ihrer Gründung im Jahre 2013, als sie in der Eurokrise mit einem eurokritischen Programm und bekannten Eurokritikern den Einzug ins Europaparlament und fünf Länderparlamente schaffte. Im Jahre 2015 kam es zu massiven innerparteilichen Konflikten zwischen dem neoliberalen Flügel und rechtspopulistischen Strömungen. Die Neoliberalen um Bernd Lucke unterlagen und zogen sich aus der Partei zurück. Mit dieser Abspaltung rückte die AFD noch weiter nach rechts und verficht inzwischen zum Tel rechts-extremistische und völkisch-nationalistische Positionen. Zutreffend ist aber auch, rund 70 Prozent der AFD-Anhänger können sich auch mit einer rechtsbürgerlichen CSU arrangieren.

Das Ergebnis dieser Lage ist bekannt. Die AFD wurde zur zweitstärksten politischen Kraft in Sachsen-Anhalt, zur drittstärksten in Baden-Württemberg und auch in Rheinland-Pfalz erreichte sie ein zweistelliges Ergebnis. Die CDU und die SPD verloren fast überall und die Linkspartei droht in die Bedeutungslosigkeit zurückzufallen. Auch für die Linkspartei steht eine selbstkritische Überprüfung ihrer bisherigen Politik auf der Tagesordnung. Es ist inzwischen offensichtlich, dass die Partei mit ihrer bisherigen Darstellung und Positionierung nicht ansatzweise zu dem Großteil der verunsicherten sozialen Schichten durchgedrungen ist. Das müsste Grund genug sein, eine intensivere Beschäftigung mit der anhaltenden Wirtschafts- und Gesellschaftskrise hervorzurufen und eine Generalinventur ihrer bisherigen Reformkonzepte durchzuführen.

Wie soll also weiter verfahren werden?

1. Es ist realistischerweise davon auszugehen, dass die Machtverhältnisse im Lande, trotz neuer Koalitionen, erhalten bleiben. Die AFD wird vorerst Teil des Parteienspektrums bleiben und somit wird auch bei uns europäische „Normalität“ einziehen. Das gilt auch und gerade angesichts der Lage in Polen, Finnland, Schweden, Norwegen und Dänemark. Rechtspopulisten sind inzwischen in Ungarn, Polen, Finnland und in der Schweiz direkt an der Regierung beteiligt. Die österreichische FPÖ zwingt Bürgerliche und Sozialdemokraten in der Flüchtlingsfrage auf einen nationalistischen Kurs. Alexander Gauland von der AFD sagte noch einmal am Wahlabend ganz unverblümt: „ Wir wollen keine Flüchtlinge.“

2. Der rechte Populismus ist keine Bewegung der Armen, aber auch keine der Reichen. Es ist eine Bewegung der unteren Mittelschicht in einer wohlhabenden kapitalistischen Gesellschaft. Diese Mittelschicht lebt noch nicht unter prekären Verhältnissen, ist aber unzufrieden wie die Dinge laufen und fühlt sich durch die etablierten Parteien nicht mehr vertreten. Vor dem Hintergrund des Zustroms von Schutzsuchenden und des unübersehbaren Defizits der staatlichen Strukturen nehmen bei ihr die Ressentiments und Ängste zu und damit auch die Ab- und Ausgrenzung gegenüber Fremden. Sie berechnet die Zuwanderung nach Kosten- und Nutzengesichtspunkten und meint, unsere Gesellschaft könne sich nicht noch weitere Verlierer leisten.

3. Der Rechtspopulismus in der Bundesrepublik hat aktuell großen Erfolg. Doch diese politische Strömung kann erfolgreich bekämpft werden. Die Integration von Schutzsuchenden wird zwar ein Dauerthema bleiben, doch dass Ängste und Ressentiments entstehen hat zum großen Teil mit tiefer liegenden ökonomisch-sozialen Problemen zu tun, die schlecht oder garnicht angegangen wurden. Die Abstiegsängste der gesellschaftlichen Mitte wurden in vielen Studien nachgewiesen. Es wurde häufig auf die zunehmende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen hingewiesen, wodurch die Chancengleichheit erheblich beschnitten wurde. Insoweit ist es unverständlich, dass auch in der Linken eine emotional geprägte Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus dominiert. Dabei müsste es darum gehen, eine andere ökonomische und politische Logik zu propagieren und dazu beizutragen, diese zum Durchbruch zu verhelfen. Es ist nämlich davon auszugehen, dass sowohl die etablierten Parteien als auch die AFD in der neoliberalen Logik verbleiben werden. Einige Eckpunkte einer alternativen Logik sind: die Austeritätspolitik muss beendet werden; es muss eine massive Umverteilung stattfinden mit dem Ziel, einerseits mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen und andererseits sinnvolle öffentliche Investitionen und Arbeitsbeschaffung durchzuführen; es muss um höhere Löhne und eine verbesserte Sicherung der Sozialsysteme gehen; der Schuldenabbau privat und öffentlich muss in den Fokus genommen werden ohne eine ökonomische und soziale Abwärtsspirale zu erzeugen; die ökonomischen und sozialen Ungleichgewichte in Europa und im Mittelmeerraum müssen entschlossen angegangen werden. Es muss im Weiteren auch darum gehen, dass die Linke in Parteien, Gewerkschaften, alternativen Bewegungen etc. auch die kulturelle Hegemonie wiedergewinnt. Nur wenn die Logik des Finanzkapitalismus bekämpft und auch kulturell der Kampf mit dem Rechtspopulismus geführt wird, wird der Vormarsch des Rechtpopulismus gestoppt werden können. Die Linke hat dazu in einem breiten Block nicht-neoliberaler und demokratischer Kräfte einen wichtigen Beitrag zu leisten.