Die Kanzlerin und die Flüchtlingsfrage.

von Dr.Peter Behnen

 

Die Bundeskanzlerin Merkel hat sich der Kritik gestellt. Das war nötig, weil Rechtskonservative, Rechtspopulisten, der rechte Flügel der CDU und vor allem die CSU sie seit geraumer Zeit unter Beschuss nehmen und eine Abkehr von ihrer Flüchtlingspolitik fordern. Besonders der bayrische Ministerpräsident fordert eine Abkehr von einer europäischen Lösung des Problems und setzt auf eine Kontrolle der nationalen Grenzen mit einer Rückweisung von Flüchtlingen. Inzwischen machen sich längst rassistische, ausgrenzende und menschenverachtende Hassparolen breit. Der Staatsapparat scheint wie gelähmt.
In dieser Situation taucht die Kanzlerin nicht ab und redet auch die Probleme nicht klein. Sie verurteilt fremdenfeindliche Vorfälle, hält sich aber gegenüber dem Rechtspopulismus eher zurück und lässt Gesten und Kommentare, die zum Teil beleidigend sind, von sich abprallen. Vorhaltungen, durch ihre Politik den Rechtspopulismus zu fördern, weist sie zurück.
Merkel kritisiert zu Recht die unmenschlichen Konsequenzen nationaler Alleingänge in den Balkanstaaten und macht deutlich, dass angesichts einer nationalen Abgrenzungspolitik der Zustrom von Schutzsuchenden nicht beendet werden kann. Das UN-Flüchtlingswerk UNHCR unterstreicht diese Auffassung, indem festgestellt wird, dass täglich rund 3000 Flüchtlinge in Griechenland ankommen und sich mehrere Zehntausend Flüchtlinge in Griechenland stauen. Angela Merkel setzt gegen eine nationale Abgrenzungspolitik ihre Priorität, gemeinsame europäische Lösungen zu suchen und Europa zusammenzuhalten. Die Fluchtursachen, vor allem in Syrien, zu bekämpfen sei der einzige Weg zu einer nachhaltigen Lösung der Probleme.
Die Bundeskanzlerin kämpft für eine europäische Lösung und eine Bekämpfung der Fluchtursachen. Sie hat allerdings kein Bewusstsein davon oder wenigstens Gespür dafür, dass ihre Austeritätspolitik und ihre negativen Folgen ein Teil des Problems sind. Sie ignoriert die soziale Spaltung in der Bundesrepublik und in Europa insgesamt und hat offensichtlich auch kein Bewusstsein von der Erosion der bürgerlichen Mittelschichten. Eine Erstarkung rechtspopulistischer Kräfte ist auch auf ihre neoliberale Politik zurückzuführen. Eine drohende neue Wirtschaftskrise und soziale Abstiegsängste, auch in den noch bessergestellten Sozialstaaten, führen zu Ängsten vor einer angeblichen Überfremdung. Der Parteivorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, schaltete sich in die Diskussion ein und forderte einen Sozialpakt für einheimische Bedürftige. Er unterließ es dabei klar zu sagen, dass das keine Politik gegen Flüchtlinge sein darf sondern ein einheitliches Konzept für Einheimische und Migranten auf der Tagesordnung stehen muss. Gabriel fordert, die Politik der Schwarzen Null zu beenden und mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau und die Aufstockung geringer Renten aufzubringen. Eine solche Politikwende darf nicht auf Einheimische beschränkt werden, wenn man nicht in den Verdacht kommen will, rechtspopulistische Vorstellungen aus wahltaktischen Gründen in seine Politik einzubauen. Für eine soziale Kurskorrektur sieht allerdings die Kanzlerin keine Notwendigkeit. Hier zeigt sich das Ergebnis einer Politik, die nicht willens ist, die wachsende soziale Spaltung wahrzunehmen und zu korrigieren. Es wird zwar ein humanitäres Verhalten und ein gemeinsames Europa gefordert ohne eine wichtige Voraussetzung dafür, nämlich stärker angeglichene Lebensverhältnisse, konsequent anzustreben und zu verwirklichen. Der große Zustrom von Schutzsuchenden hat schlagartig die Fehlentwicklungen der neoliberalen Sparpolitik offengelegt. Die Kanzlerin kämpft für eine nachhaltige Lösung der Flüchtlingsfrage ignoriert aber zugleich die materiellen und sozialpsychologischen Folgen der Austeritätspolitik. Sie muss sich deswegen auch vorhalten lassen, dass das Umschlagen der Willkommenskultur in eine nationale Abgrenzungspolitik auch auf ihre Politik der letzten Jahre zurückgeht. Die meisten Befragten in der Bundesrepublik sorgen sich um die öffentlichen Haushalte, die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt und die Zunahme von Straftaten. Auf diese Stimmung mit rechtspopulistischen „Lösungen“ zu reagieren, bietet keine vernünftige Perspektive. Allerdings muss gerade die Linke darauf hinweisen, dass die soziale Unsicherheit und die dahinterliegenden Probleme zu ignorieren, auch keine Lösungsperspektive darstellt. Es bleibt für die Linke die Forderung, den strikten Sparkurs zu beenden und eine Investitionsoffensive in die soziale Infrastruktur zu beginnen. Parallel dazu muss es Teil der linken Politik bleiben, für eine weitere Entwicklung der europäischen Integrations- und Friedenspolitik zu werben. Nur so werden sowohl die Eurokrise als auch die Flüchtlingskrise auf Dauer gelöst werden können.