Zerbrechen die EU und die Eurozone?

von Dr.Peter Behnen

Bevor der Euro mit der EU sowie die Flüchtlingsfrage behandelt werden können, sind einige geschichtliche Fakten kurz zu benennen. Sie stellen wichtige Rahmenbedingungen der europäischen Integration dar.

1. Die langfristige Entwicklung der Wirtschaftsordnung des Kapitalismus bedeutet Ungleichzeitigkeit der nationalen Kapitalismen und sieht so aus, dass im 19.Jahrhundert Großbritannien die führende Wirtschaftsmacht war. Diese Position wurde durch das Deutsche Reich und Frankreich vor dem 1.Weltkrieg erschüttert. Seit den 1920er Jahren wurden die USA der unumschränkte Weltmarktführer.
2. Durch die Politik des New Deal von Präsident Roosevelt nach der Weltwirtschaftskrise 1929- 32 wurde der Finanzsektor (Banken) stärker kontrolliert, die Beschäftigungspolitik (Schaffung von Arbeitsplätzen) groß geschrieben und die Ankurbelung der gesellschaftlichen Nachfrage ein wichtiger Teil der Politik (Keynes).
3. Nach der Konferenz von Bretton-Woods 1944 wurde das Weltwährungssystem auf einen neue Grundlage gestellt, der Dollar wurde die Leitwährung und war gegen Gold umtauschbar und die beteiligten Währungen standen in einem festen Umtauschverhältnis zum Dollar und damit auch zum Gold. Ökonomische Ungleichgewichte wurden durch Auf- und Abwertungen ausgeglichen.

Was die europäische Einigung angeht, so zeigte sich nach dem 2.Weltkrieg, dass die USA die unumstrittene Wirtschaftsmacht waren und auch die Politik im Nachkriegseuropa entscheidend mitbestimmten. Die USA sorgten für den finanziellen Aufbau Westeuropas (Marshallplan), den Abbau von Zollschranken (Gatt) bei allerdings strikter Kontrolle des Kapitalverkehrs. Das eigene Interesse der USA bestand darin, Europa als Absatzmarkt für eigene Waren zu entwickeln und politisch als Bollwerk gegen die Sowjetunion. Die Londoner Schuldenkonferenz entlastete viele europäische Staaten, vor allem die Bundesrepublik. Insoweit wurde das Projekt der europäischen Einigung weniger politisch aber vor allem wirtschaftlich zügig angegangen. Stichworte hier sind: OEEC und EZU im Jahre 1948, EGKS im Jahre 1951 und 1958 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit dem Ziel, Zollschranken auch in Europa schrittweise abzubauen. Auffallend ist, dass eine politische Einigung(Churchill forderte schon 1945 die Vereinigten Staaten von Europa) nicht zustande kam, sondern sich die Integration auf die wirtschaftliche Ebene verlagerte.
Aber auch die wirtschaftliche Einigung geriet ins Stocken, nachdem das Bretton-Woods-System zu Anfang der 70er Jahre zerbrach, das heißt, der Dollar war nicht mehr frei gegen Gold umtauschbar und die Wechselkurse nicht mehr an ihn gebunden. Erst zum Ende der 70er Jahre kam es zum Europäischen Währungssystem (EWS) mit festen Wechselkursen unter einander mit der Möglichkeit der Aufwertung und Abwertung und einer Verrechnungswährung ECU. Um gegenüber der Konkurrenz aus den USA und auch Japan besser gewappnet zu sein, wurde 1992 das EU-Binnenmarktprojekt ins Leben gerufen mit einer Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Integration. (Freier Waren- und Dienstleistungsverkehr, Personenfreizügigkeit, freier Kapitalverkehr). Darin spiegelten sich die wesentlichen Merkmale eines Finanzkapitalismus, der sich seit den 80er Jahren immer mehr durchsetzte. Als die Krönung der europäischen Integration galt schließlich der Vertrag von Maastricht 1993 mit der Inangriffnahme der Währungsunion( Euro) als zentralem Projekt sowie der Etablierung der EZB. 2002 war der Prozess abgeschlossen.

Im Rückblick gesehen war die Konstruktion der Währungsunion der eigentliche Sündenfall. Es wurde mit dem Euro eine gemeinsame Währung installiert ohne dafür die politischen Grundlagen geschaffen zu haben. Es gibt zwar einen Europäischen Rat (Regierungschefs), einen Ministerrat( Fachminister), eine Europäische Kommission( Art Regierung), ein Europäisches Parlament und einen Europäischen Gerichtshof als Institutionen, aber bei weitem keine politische Union im Sinne von Vereinigten Staaten von Europa. Die EU blieb ein Staatenbund von souveränen Staaten. Es gibt keine gemeinsame Steuer-und Ausgabenpolitik des Staates (Fiskalpolitik), Wirtschafts- und Finanzpolitik oder Sozialpolitik. Ein solidarischer Ausgleich bei Leistungsbilanzungleichgewichten ist nicht vorgesehen, keine effektive Kontrolle der Finanzmärkte und auch kein Verbot von Spekulationsgeschäften bei Wertpapieren, Rohstoffen, Immobilien u.s.w.

Was waren die Folgen einer neoliberalen Politik, die nicht die Grundlagen für eine politische Union schuf sondern nur eine Währungsunion, Folgen, die uns bis heute und weiterhin treffen werden?

1. Es zeichnet sich schon seit dem Beginn der 2000er Jahre eine skeptische EU-Stimmung ab. Inzwischen fand in Dänemark und bald auch in Großbritannien eine Volksabstimmung statt, in denen eine weitere EU-Integration gestoppt werden soll. Der Rechtspopulisms findet sich in mehreren Ländern auf dem Vormarsch. Soziale Ängste vor Arbeitslosigkeit, unsicheren Arbeitsverhältnissen und Sozialabbau spielen dabei eine wichtige Rolle. Soziale Konflikte werden häufig umgedeutet zu ethnischen Konflikten, mit dem Rechtspopulismus und Gewalt gegen Minderheiten als Konsequenz.

2. Die Währungsunion ist inzwischen harten Zerreißproben ausgesetzt. Es erweist sich heute als unsinnig, das Europ.Währungssystem (EWS) mit seiner Möglichkeit der Variation der Wechselkurse zugunsten einer gemeinsamen Währung aufgegeben zu haben. Nur eine staatliche Union mit einer gemeinsamen Wirtschafts-Finanz-Geld-Arbeitsmarkt und Sozialpolitik hätte mit einer gemeinsamen Währung ausgestattet werden dürfen.

3. Die internationale Finanzkrise 2008 entwickelte sich von einer Konjunkturkrise zu einer Staatsschuldenkrise und schließlich zur Eurokrise. Länder wie Irland, Zypern, Spanien, Portugal und Griechenland waren am stärksten betroffen. Sie waren schon vor der Finanzkrise 2008 nicht in der Lage, dem Wettbewerbsdruck, vor allem durch die Bundesrepublik, zu widerstehen. Diese Länder mussten sich zum Ausgleich ihrer Leistungsbilanzen bei privaten Banken verschulden. Diese Kredite wurden abgelöst durch EU-Kredite, die Länder kamen unter den sogenannten Rettungsschirm. Damit waren allerdings Auflagen verbunden, die sie noch stärker in den Abgrund rissen. Die Auflagen bestanden in der Regel aus Lohnkürzungen, Sozialkürzungen (vor allem Renten) und der Privatisierung öffentlichen Eigentums, die bei allen Ländern mit einer humanitären Katastrophe verbunden waren.
4. Griechenland mit der Regierung Tsipras versuchte, den Auflagen zu entkommen. mit dem Ergebnis, dass Griechenland fast gezwungen wurde, die Eurozone zu verlassen (Grexit). Ein Grexit wäre mit erheblichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verwerfungen für Griechenland verbunden gewesen. Die Regierung Tsipras lenkte ein und versucht, die Auflagen der EU zu erfüllen, obwohl sie weiß, dass das keine Lösung der Probleme erbringt. Ein ähnliches Szenario droht inzwischen Portugal, Spanien und auch weiter Irland. Die Eurozone könnte zerbrechen und die politische Union in immer weitere Ferne rücken.
5. Als weiteres Problem für den Zusammenhalt in der EU kommt der massive Anstieg der Zufluchtsuchenden aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, afrikanischen Ländern und dem Balkan hinzu. Sie kommen aus Kriegsgebieten oder Ländern, die keine Perspektiven, ökonomisch und sozial, für ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen können. Die Länder der EU haben sich bisher damit begnügt, Symptome zu bekämpfen. In Deutschland und in den meisten Mitgliedsländern der EU konzentriert man sich darauf, den Zustrom durch Errichtung von Hindernissen und gesetzlichen Hürden zu stoppen. Es besteht keine Einigkeit zwischen den EU-Ländern, der Rechtspopulismus und sein Plädoyer für eine Stärkung der Nation und seine Ablehnung einer weiteren europäischen Integration ist auf dem Vormarsch.

Ich komme damit zur Ausgangsfrage zurück: Drohen die Eurozone und die EU zu zerbrechen?

Das Problem ist, dass die Diskussion der Währungsfrage und auch der Flüchtlingsfrage viel zu kurz greift. Klar ist, dass die Währungsunion in der bestehenden Form nicht überleben kann. Es kommt darauf an, ein überzeugendes Konzept zu entwickeln, mit dem die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichte überwunden werden. Allen EU-Ländern, vor allem auch den südeuropäischen, muss eine Entwicklungsperspektive eröffnet werden und nicht durch eine sture Sparpolitik das Elend noch weitergetrieben werden. Gesamteuropa muss eine solidarische Politik im Stile der schon erwähnten New Deal Politik der USA der 30er Jahre betreiben( Kontrolle Finanzsektor, Beschäftigungspolitik und Nachfragepolitik). Es ist eine Investitionsoffensive erforderlich und zwar in allen Ländern der EU. Wie marode unsere öffentliche Infrastruktur ist, zeigt sich gerade jetzt, wo es um die Aufnahme und Integration von Schutzsuchenden geht. Es sind, nicht nur in Südeuropa, sondern auch in den Kernländern der EU massive Investitionen in Bildung, Kinderbetreuung, Pflegedienste, sozialen Wohnungsbau u.s.w. erforderlich. Dazu ist eine neue Steuerpolitik mit weitreichenden Eingriffen in die augenblicklich unsoziale Einkommens- und Vermögensverteilung dringend notwendig. Nur so wird es auch möglich sein, die Mittel für die Aufnahme der Zufluchtsuchenden national und europaweit aufzubringen. Damit hängt zusammen, dass es auch darauf ankommt, die Flüchtlingslager der UN-Hilfsorganisationen finanziell abzusichern und das Überleben der Schutzsuchenden in der Nähe der Konflikt-und Kriegsgebiete zu gewährleisten (UNHCR und Welthungerhilfe). In diesem Zusammenhang ist eine faire Lastenverteilung unter den EU-Mitgliedsstaaten vorzunehmen, wenn die humanitäre Krise bewältigt werden soll. Außerdem muss viel mehr bei der finanziellen Unterstützung der Kommunen und Bundesländer getan werden, andernfalls gewinnt die Logik der Ausgrenzung überhand, an deren Ende immer die Schließung der Grenzen steht.

Es muss eine Neubegründung der EU stattfinden. Wegen der weit verbreiteten Sorge und Angst vor Armut, Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Konzentration von Einkommen und Vermögen ist ein europäischer Politikwechsel vonnöten. Die zentrale ökonomische Ursache der Eurokrise liegt in der ungleichen Entwicklung der Handels- und Kapitalströme. Die wirtschaftlich starken Volkswirtschaften werden stärker, die wirtschaftlich Schwachen dagegen schwächer. Wenn es nicht gelingt die Ungleichgewichte abzubauen, ist damit zu rechnen, dass die Eurozone und auch die EU insgesamt auf Dauer zerbrechen. Das würde sich allerdings, auch für uns alle, wirtschaftlich katastrophal auswirken, den Rechtspopulismus noch stärker machen und ein europäische politische Union verunmöglichen. Dass das mit großen Konflikten in Europa einhergehen kann, kann man sich leicht vorstellen, wenn wir uns die Geschichte Europas im 20.Jahrhundert vor Augen halten. Deshalb geht es euroweit darum, folgende Punkte zu verwirklichen:

-Verbesserung der Infrastruktur durch öffentliche Investitionen
-umfassende Investitionen im Bildungsbereich
-Verbesserung und Verbilligung der Wohnmöglichkeiten
-Milderung der Ungleichheit bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen
– Verbesserung der Lebenschancen der Menschen unabhängig von ihren sozialen Status, insbesondere auch durch bessere Integration von Personen mit Migrationshintergrund
-schrittweise Rückführung atypischer Beschäftigung

Zum Schluss deshalb das Ergebnis: „Die Alternative zu weniger Europa ist mehr Europa, aber anders, das heißt, ein demokratisches und soziales Europa. Die neoliberale Sparpolitik bietet keine Lösung für sowohl die ökonomische Spaltung Europas als auch die aktuelle Flüchtlingsfrage. Merkels Willkommenskultur, so wichtig sie ist, verträgt sich nicht mit dem Neoliberalismus ihrer Politik. Darin liegt auch der Widerspruch dieser Politik.