LINKER MINIMALKONSENS UND EINE MODERNE SOZIALISMUSKONZEPTION.(1)

Von

Dr.Peter Behnen

Für die Partei „Die Linke“ ist die Diskussion einer modernen Sozialismuskonzeption von großer Bedeutung. In der innerparteilichen Diskussion aber auch in der Diskussion außerhalb der Partei, zum Beispiel in Wahlkampfveranstaltungen und an Informationsabenden, muss deutlich werden, dass die Partei einerseits zusammen mit Bündnispartnern für verbesserte Lebensbedingungen der BürgerInnen kämpft, dass sie aber auch andererseits einen Minimalkonsens der Linken mit der langfristigen Verwirklichung einen modernen Sozialismuskonzeption verbindet. Eine solche Konzeption kann auf der Basis der Theorien von Marx und Keynes entwickelt werden. Anzuknüpfen ist an den Problemen, die die Finanzkrise 2008 und die jüngste Eurokrise hinterlassen haben. Die aktuellen Krisensituationen müssen als vorläufige Endpunkte einer seit der Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts sich zuspitzende Überakkumulation von Kapital in den kapitalistischen Metropolen und damit zusammenhängend, einer verfehlten neoliberalen Politik auf internationaler und europäischer Ebene begriffen werden. Die Partei „Die Linke“ sollte sich zusammen mit Bündnispartnern in der SPD, den Grünen und verschiedenen alternativen Gruppierungen für einen linken Minimalkonsens stark machen (2) und auf die Notwendigkeit einer auf Dauer nichtkapitalistischen Perspektive hinweisen. Nur so wird ein weiterer gesellschaftlicher Fortschritt möglich sein.

Erstens geht es um die Neuorganisation des Banken- und Finanzsystems. Dieser Sektor hat die Aufgabe, den Unternehmen, staatlichen Stellen und Privaten ausreichend Kredite zur Verfügung zu stellen. Völlig überflüssig ist in diesem Zusammenhang die Kreierung spekulativer Finanzprodukte. Es kommt im Gegenteil darauf an, vor allem den Sparkassen- und Genossenschaftssektor zu stärken, bestimmte Geschäfte ganz zu verbieten (z.B.
Offshore-Geschäfte) und eine strikte europäische Bankenaufsicht zu schaffen. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist mit erweiterten Instrumenten bei ihrer Kreditvergabe und beim Einsatz von Kapitalverkehrskontrollen und Devisenmarktinterventionen auszustatten.
Zweitens ist die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung konsequent anzugehen. Geeignete Maßnahmen sind u. a. eine sozial orientierte Steuerpolitik, die Anhebung von gesetzlichen Mindestlöhnen, die stärkere Mitbestimmung der Beschäftigten in Unternehmen, der Aufbau europäischer Gewerkschaften und eine europäische Tarifpolitik.
Drittens müssen die öffentlichen Haushalte auf eine solide Einnahmebasis gestellt und eine exzessive Staatsverschuldung verhindert werden. Dabei kann ein europäischer Mindeststeuersatz für Unternehmen, eine stärkere und direkte Besteuerung von Gut- und Spitzenverdienern sowie eine Koordinierung und Zentralisierung der europäischen Finanzpolitik weiterhelfen. Außerdem müssen steuerpolitische Maßnahmen zur Korrektur von Leistungsbilanzungleichgewichten in Europa eingesetzt sowie ein EU-Finanzausgleich ausgebaut werden.
Viertens gilt es über Europa hinaus Leistungsbilanzungleichgewichte durch eine koordinierte Geld- und Finanzpolitik, Kapitalverkehrskontrollen und Devisenmarktinterventionen zu verhindern. Eine grundlegende Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist dabei ein wichtiger Ansatzpunkt.

Die vier angeführten Punkte zu verwirklichen, was im Rahmen eines linken Konsenses schwer genug sein wird, würde die schlimmsten Auswirkungen der Finanzkrise beseitigen. Es wäre nun Aufgabe der Linken, weitertreibende Momente dieser Übergangsforderungen zu benennen. Es kann dabei angeknüpft werden an Vorschlägen von Keynes, der schon in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts eine „ ziemlich umfassende Sozialisierung der Investitionen“ forderte ohne allerdings die kapitalistische Produktionsweise in Frage stellen zu wollen. Demgegenüber kann auf Basis der Marxschen Theorie gezeigt werden, dass durch den tendenziellen Fall der durchschnittlichen Profitrate auf Dauer eine Blockade des Wirtschaftswachstums (Akkumulation) entsteht, die nur durch die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise beseitigt werden kann. Ein öffentliche Rahmenplanung der die Volkswirtschaft bestimmenden Investitionen und ein gesellschaftlicher Zugriff auf das Eigentum an den Produktionsmitteln bleiben dabei von zentraler Bedeutung sein. Für entwickelte Volkswirtschaften wird ein Marktsozialismus als moderne Sozialismuskonzeption zu diskutieren sein.

Eckpunkte eines modernen Sozialismuskonzeptes.

Bereits Keynes schwebte für die lange Frist eine Gesellschaft vor, in der aufgrund der Entwicklung der Technik (Bestand des fixen Kapitals) die Knappheit von Gütern im Verhältnis zur gesellschaftlichen Nachfrage überwunden werden könne. Marx hatte schon im 19.Jahrhundert vorausgesehen, dass durch die Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit der Kapitalismus an die Schwelle zu einer möglichen Gesellschaft des Überflusses kommen kann, allerdings eine solche Gesellschaft nur unter der Voraussetzung zu erreichen ist, dass die kapitalistische Gesellschaft überwunden und eine neue höhere Form der gesellschaftlichen Produktion etabliert wird. Für Marx war die Reichlichkeit des fixen Kapitals (Maschinen, Gebäude, Rohstoffe) immer eine wesentliche Voraussetzung für den Übergang in eine neue Produktionsweise. Es entsteht allerdings dann die Frage, in welchem Verhältnis die Reichlichkeit oder die Knappheit von Waren zu den Bedürfnissen der Gesellschaftsmitglieder steht. Ökonomen, die in der Tradition von Keynes stehen, haben darauf hingewiesen, dass eine weitgehende Sättigung von Bedürfnissen schon in dieser Gesellschaft möglich sei. Dem widerspricht jedoch, dass der Finanzkapitalismus der letzten Jahrzehnte wegen der Zunahme der Einkommens- und Vermögensungleichheit sich wieder weitgehend von einer Überflussgesellschaft entfernt hat, ganz abgesehen von ökologischen und sozialen Defiziten und von den gravierenden Problemen der 3. und 4.Welt. Hier setzt eine moderne Sozialismuskonzeption als demokratische Antwort auf die angebliche Sättigung von Bedürfnissen ein. Es muss zugegeben werden, dass eine marktvermittelte Allokation von gesellschaftlichen Ressourcen solange unverzichtbar ist, solange die gewünschten Waren nicht im Überfluss vorhanden und frei verfügbar sind und auch eine zentrale Rationierung von Gütern abgelehnt wird. Das System des Staatssozialismus hat gezeigt, dass eine umfassende zentrale Planung des Wirtschaftslebens nicht die Antwort auf die Krise des Kapitalismus sein kann. Eine zentrale Lenkung der gesellschaftlichen Ressourcen durch eine staatliche Planungsbehörde erwies sich als immer weniger funktional für die Produktivitätssteigerung und das Wirtschaftswachstum. Das zeigte sich u. a. darin, dass viele verstaatlichte Betriebe Planungsdefizite durch informelle Marktbeziehungen ausgleichen mussten. Es entwickelte sich eine Schattenwirtschaft, das heißt, dass sich viele Betriebe illegal von anderen Industrie- Bau und Transportbetrieben benötigte Rohstoffe, Halb- und Fertigwaren besorgten. Dass damit auch persönliche Bereicherungen, Vetternwirtschaft und Korruption verbunden waren lag in der Natur der Sache. Es setzte sich in vielen staatssozialistischen Länder, wenn auch zu spät, die Erkenntnis durch, dass die zentrale Ressourcenzuteilung und die staatlich festgelegten Preise immer weniger auf verursachungsgerechter Kostenzuordnung aufgebaut waren und der gesellschaftliche Bedarf nicht optimal befriedigt werden konnte. Die Beschaffenheit der Güter entsprach in vielen Fällen nicht den Bedürfnissen der Bürger.

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus diesen Erfahrungen für eine moderne Sozialismuskonzeption?

1. Eine sozialistische Ökonomie für eine entwickelte Volkswirtschaft wird den Ware-Geld-Beziehungen, das heißt Angebot und Nachfrage an Märkten, eine wichtige Funktion einräumen.
2. Unternehmen werden nicht vorwiegend von einer staatlichen Planungsbehörde gesteuert werden müssen, sondern dezentrale Entscheidungen auf Unternehmensebene werden für weite Bereiche der Volkswirtschaft das bestimmende Prinzip sein.
3. Entscheidend für den systemspezifischen Charakter einer Wirtschaftsordnung sind die Produktionsverhältnisse, das heißt das Verhältnis der Produzenten zu den Produktionsmitteln und nicht, ob die Güter als Waren zirkulieren. Marx hatte vielfach darauf hingewiesen, dass die Warenzirkulation in verschiedenen Produktionsweisen vorzufinden ist, sogar unter antiken Verhältnissen. Wenn die kapitalistische Produktionsweise abzuschaffen ist, dann bedeutet das, dass die Produktionsmittel nicht mehr als privates Eigentum dazu dienen, von den Arbeitenden Mehrarbeit bzw. Mehrwert anzueignen sondern die Verwirklichungsbedingungen der Arbeit der Produzenten darstellen. Damit wird gleichzeitig der Warencharakter der Arbeitskraft in Frage gestellt, das heißt, die Funktion des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln zurückgedrängt und die Arbeitskräfte selbst über das Was, Wie und Für Wen ihrer Arbeit entscheiden. Es entsteht ein verändertes Verhalten der Gesellschaft insgesamt und der einzelnen Unternehmen zu den Produzenten. Eine solche Gesellschaft verweist auf die führende Rolle des Gemeineigentums an den Produktionsmitteln und dem Grund und Boden. Das muss nicht unbedingt staatliches Eigentum sein sondern kann auch halbstaatliches oder vor allem modernisiertes genossenschaftliches Eigentum sein. Auch der Fortbestand des privaten Eigentums an Produktionsmitteln ist in bestimmten Bereichen der Gesellschaft vorstellbar, insbesondere bei kleinen nichtkapitalistischen Warenproduzenten und Warenkaufleuten (Kleines Handwerk und Kleinhandel). Das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln harmoniert also mit verschiedenen gesellschaftlich-gemeinschaftlichen Eigentumsformen.

Die Schlussfolgerung für ein modernes Sozialismuskonzept lautet also:
Die drei Elemente, – Eigentum an den Produktionsmitteln, Entscheidungsgewalt über die Unternehmensausrichtung und die gesellschaftliche Steuerung wichtiger volkswirtschaftlicher Größen ( Wachstum, Beschäftigung, Preise etc.)- sind so zusammenzusetzen, dass die Dominanz der nicht-kapitalistischen Produktionsverhältnisse gewährleistet bleibt. Das schließt ein, dass es einen Mix aus verschiedenen Eigentumsformen mit der Dominanz vergesellschafteter Unternehmen in den Schlüsselsektoren geben sollte. Zu den Schlüsselsektoren gehören wichtige Investitions- und Konsumgüterunternehmen, Unternehmen der gesellschaftlichen Infrastruktur (Energie, Verkehr, Gesundheit) und das Bank- und Kreditwesen. Im verbleibenden privaten Sektor wird die Mitbeteiligung der Belegschaften eine wichtige Rolle spielen, insbesondere was die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse angeht.

Marktsozialismus und Modernisierung.

Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich gezeigt, dass der Finanzkapitalismus die Technikentwicklung für drastische kurzfristige Kostensenkungen und Rentabilitätssteigerungen auf Kosten der Beschäftigten und zu Gunsten der Aktionäre und institutionellen Investoren, zum Beispiel Investmentfonds, genutzt hat. Das hat zur Folge gehabt, dass etliche Fortschritte bei der Lohnentwicklung, Arbeitszeitentwicklung und Sozialstaatsgestaltung der vorangegangenen Epoche zurückgenommen wurden. Ein modernes Sozialismuskonzept wird an den am weitesten entwickelten Formen der Technik und der sozialen Gestaltung des Kapitalismus anknüpfen und ihre Weiterentwicklung für die Zwecke der Beschäftigten und Sozialleistungsempfänger nutzbar machen. Es geht dabei um eine neue Betriebsweise, bei der die Modernisierung der Technik für eine bewusste Steuerung der Investitionen eingesetzt wird. Der produktive wertschöpfende Bereich der Volkswirtschaft wird von Vermögensansprüchen der Aktionäre und institutionellen Investoren weitgehend befreit werden müssen. Der Finanzsektor wird seines spekulativen und teilweise parasitären Charakters entkleidet und zu einer „dienenden Rolle“ im Steuerungsprozess der Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums eingesetzt. Europa bzw. die EU muss auf eine weitgehende politische Vereinheitlichung und regionale Strukturpolitik hin orientiert werden. Auch die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung muss mit entsprechendem sozialem Ausgleich in den Blick genommen werden. Für eine sozialistische Wirtschaftspolitik bedeutet das, auf Europa bezogen, die Strukturpolitik das Herzstück einer bewussten Gestaltung europäischer Wirtschaftsstrukturen darstellt.
Die neue Qualität gegenüber der bisherigen Politik besteht darin, dass offensiv steuernde Eingriffe vorgenommen und vor allem regionale Entwicklungsaufgaben angegangen werden. Die Strukturpolitik wird sozial verträglich sein und ein ökonomischer und sozialer Ausgleich zwischen den beteiligten Ländern der EU verwirklicht werden. Diese Politik muss national und europaweit mit neuen volkswirtschaftlichen Steuerungsinstitutionen durchgeführt werden. Vorstellbar sind Agenturen in öffentlicher Rechtsform, die nach politischen Vorgaben und unter Aufsicht von politischen Aufsichtsorganen wirtschaftspolitische Maßnahmen entweder selbst ergreifen oder überwachen und der Finanzhoheit von Parlamenten unterliegen. Die öffentliche Strukturpolitik der sozialistischen Marktwirtschaft erfolgt damit sowohl durch den öffentlichen Wirtschaftssektor selbst als auch durch mit ihm abgestimmte Steuerungsagenturen, die als verlängerter Arm der parlamentarisch beschlossenen Wirtschaftspolitik dienen.
Für den überkommenen Sozialstaat bedeutet Modernisierung unter marktsozialistischen Vorzeichen die Rücknahme seiner klassenspezifischen Merkmale. Die erste Forderung zur Relativierung des bürgerlichen Sozialstaats könnte die allgemeine Bürgerversicherung bei Krankheit, Unfall, Pflegebedarf und Alter sein. Ferner sollten öffentliche Dienstleistungen Dienstleistungen auf Kostenbasis ohne Profitbestandteile sein. Sofern öffentliche Dienstleistungen sich nicht selbst tragen können sind sie aus Steuermitteln zu finanzieren.
Die Ausgestaltung des Steuersystems sollte nach dem Prinzip der Stärkung der direkten gegenüber indirekten Besteuerung erfolgen. Das bedeutet, eine progressive Besteuerung auf höhere Einkommen und Vermögen vorzunehmen. Sofern eine Einkommensspreizung weiterhin erfolgt, so sollte sie gesellschaftlich transparent und allgemein akzeptiert sein. Die Leitlinie muss in der sozialistischen Marktwirtschaft sein, eine Abstufung von Einkommen nach der Leistung zu ermöglichen und leistungslose Einkommen ganz zu unterbinden.
Die Gestaltung des Arbeitslebens in der sozialistischen Marktwirtschaft hat anzuknüpfen an den entwickelten Formen im Kapitalismus. Sie hat die überkommenen Regulierungen zu modernisieren und auszubauen. Wie bereits dargestellt, entkleidet diese Politik die Produktionsmittel ihres Kapitalcharakters und trägt dazu bei, der Arbeitskraft nach und nach den Charakter einer auf dem Markt frei verfügbaren Ware zu nehmen. Das bedeutet unter anderen, dass die Beschäftigten und ihre Vertreter entscheidenden Einfluss auf die Unternehmenspolitik erhalten und zusammen mit außerbetrieblichen gesellschaftlichen Gruppen, zum Beispiel kommunalen Vertretern, die Entwicklung des Unternehmens bestimmen. Genossenschaftliche Strukturen in modernisierter Form können deutlich machen, dass die Beschäftigten nicht in erster Linie kurzfristig denkende Interessenvertreter sind sondern vor allem auch mittel- und langfristige Perspektiven, die Teil der gesellschaftlichen Strukturpolitik sind, im Auge haben.

Kommunistische Perspektiven?

Auch die in groben Zügen vorgeschlagene sozialistische Marktwirtschaft ist von einer Gesellschaft des Überflusses, in der die Güter frei verfügbar sind und eine marktvermittelte Ressourcenverteilung entbehrlich ist, noch weitentfernt. Die Güter werden weiter als Waren verkauft und die Nachfrage ist weiterhin zahlungsfähige Nachfrage. Es gilt das Marxsche Prinzip: „Jeder nach seinen Fähigkeiten jeder nach seiner Leistung.“ Dieses Prinzip ist nach Marx charakteristisch für die unentwickelte Phase des Kommunismus, die auch als Sozialismus bezeichnet wird. Originalton Marx: „ Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eigenen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt.“ (3) Diese Gesellschaft weist weiter eine marktvermittelte Verteilung von Waren auf. Der Staatssozialismus, so wie er sich bis zu seinem Niedergang darstellte, versuchte demgegenüber eine Verteilung durch zentrale Planungsbehörden. Was dabei heraus kam, war eine Verteilung des Mangels mit persönlicher Bereicherung, Vetternwirtschaft und Korruption und mitnichten eine höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft, die eine Überflussgesellschaft darstellen sollte. In einer Überflussgesellschaft sollte tendenziell der gesamte notwendige Konsum mit freien Gütern, das heißt ohne Warenform und Preise, bewerkstelligt werden können. Ob ein solcher Gesellschaftszustand erreichbar und mit dem Begriff „Kommunismus“ zu etikettieren ist, war auch für Marx zweifelhaft. Noch einmal Marx: „ Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach sich die Wirklichkeit zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.“ (4) Eine solche Formulierung steht in direktem Gegensatz zu einer Vielzahl von Verlautbarungen kommunistischer Parteien im Staatssozialismus. Eine Überflussgesellschaft im Sinne von Marx, in der eine Verteilung nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen möglich ist, ist allerdings weiter eine Gesellschaft, in der Arbeit eine gesellschaftliche Notwendigkeit darstellt. Arbeit bleibt ein Mittel zur Nutzbarmachung von gesellschaftlichen und natürlichen Ressourcen, auch wenn sie möglicherweise zunehmend wissenschaftliche Arbeit und Kontrollarbeit eines automatischen Produktionsprozesses darstellt. Sie ist eine hoch produktive Arbeit, die unter allen werkfähigen Mitgliedern der Gesellschaft verteilt wird und die einen sinkenden Anteil an der Lebenszeit der Menschen einnehmen wird. Auf der anderen Seite sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Überfluss bzw. die Überwindung von Knappheit nicht nur eine Frage der Produktivität der Arbeit sondern auch eine Frage der Bedürfnisentwicklung der Individuen ist. Es kommt darauf an, dass das Bedürfnissystem auf eine rationale und demokratische Weise entwickelt wird und, im Gegensatz zur bürgerlichen Gesellschaft, nicht mehr den Zwängen der privaten Kapitalverwertung unterworfen ist.

(1) Siehe hierzu: Stephan Krüger, Keynes und Marx, Hamburg 2012,
S. 347ff
und: Stephan Krüger, Wirtschaftspolitik und Sozialismus, Hamburg
2015.
(2) Siehe: Dullien, Herr, Kellermann, Der gute Kapitalismus und was
sich dafür ändern müsste, Bielefeld 2009.
(3) Siehe Marx-Engels-Werke, Band 19, S. 20
(4) Siehe Marx-Engels-Werke, Band 3, S. 35