SPD- Starke Ideen oder Selbstbetrug?

In einem Leitantrag für den Parteitag im Oktober hat das SPD-Präsidium Thesen formuliert, der den Titel „Starke Ideen für Deutschland 2025“ trägt. Es ist zu sehen wie stark die Ideen wirklich sind oder ob wieder einmal ein Selbstbetrug der Partei vorliegt (1).
Zuerst wird festgestellt, Deutschland habe eine „gesunde Wirtschaft.“ Deutschland weise eine gesunkene Staatsverschuldungsquote, einen ausgeglichenen Staatshaushalt und eine besondere Exportstärke auf. Deutschland habe also erfolgreich gewirtschaftet. Auffallend ist allerdings, dass weder die Ursachen der Entwicklung noch die Folgen für bestimmte Bevölkerungsteile und andere Staaten, insbesondere in der Währungsunion, in den Fokus genommen werden Zu betrachten sind hier die Steuerreform 2000, die Rentenreform von Riester 2002 und die Arbeitsmarktreform 2003, die mit dem Namen von Peter Hartz verbunden wurde (Agenda 2010). Die Wirkungen dieser „Reformen“ waren desaströs, einmal für die direkt Betroffenen aber auch für die indirekt Betroffenen in anderen Ländern der Eurozone.

1. Die Steuerreform 2000 bestand aus einer massiven Steuerentlastung deutscher Unternehmen. Außerdem sorgte die Steuerfreiheit bei Beteiligungsveräußerungen dafür, dass der Standort Deutschland attraktiver wurde. Abgesehen von Einnahmeverlusten bei deutschen Gebietskörperschaften (Bund, Länder und Gemeinden) begann Deutschland damit innerhalb der Währungsunion den Wettlauf um sinkende Unternehmenssteuern, dem andere Länder dann folgen mussten. Im Jahre 2008 wurde die Entlastung der Unternehmen im Rahmen der Großen Koalition von Peer Steinbrück noch weiter getrieben, indem eine Absenkung der Körperschaftssteuer auf 15 Prozent für entnommene und nicht entnommene Gewinne vorgenommen wurde. Auf diese Weise wurden die Wettbewerbsbedingungen in der Währungsunion zu Gunsten deutscher Unternehmen massiv verschoben. Die dahinter stehende ökonomische Sicht der SPD war strikt einzelwirtschaftlich geprägt und muss, aus volkswirtschaftlicher Sicht, als neoklassisch bzw. neoliberal bezeichnet werden. Zugleich wurde die Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte verschlechtert, was kurzfristig zum Verstoß gegen den Vertrag von Maastricht mittelfristig aber zum Verfall der öffentlichen Infrastruktur und zum Lohndruck im öffent-
(1) Siehe hierzu: Michael Wendl, Im Rausch der Mythen, Sozialismus 9/15 S. 40-44
lichen Dienst führte. Finanzielle Spielräume, die zur Bekämpfung der Konjunkturkrise 2002 benötigt worden wären, waren jetzt nicht mehr gegeben. Die Folge war fiskalpolitische Untätigkeit der Regierung Schröder in dieser Situation der Konjunkturkrise.

2. Ein angeblich zu unflexibler Arbeitsmarkt und eine zu hohe Belastung der Staatsfinanzen durch die Ansprüche der Bürger waren laut SPD die Ursachen der Krise von 2002. Diese neoliberale Erklärung hatte für die sozialdemokratische Politik 2002 zur Folge, eine Teilprivatisierung des Rentensystems durch Arbeitsminister Riester vorzunehmen. Eine grundlegende Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durch die Hartz-Gesetze waren die logisch nächsten Schritte. Die Probleme des Arbeitsmarktes sollten durch den Abbau der angeblichen Überregulierung gelöst werden. Von einem Teil der Gewerkschaften und Vertretern der Politikwissenschaft und der Medien wurde diese neoklassische bzw. neoliberale Sichtweise unterstützt. Das alles firmierte unter dem Stichwort: Modernisierung der Sozialdemokratie.

3. Die geschwächten öffentlichen Haushalte und das Absinken der gesellschaftlichen Nachfrage, die sich durch diese Politik entwickelten, führten zu einer Krisenverschärfung, die noch durch die Geldpolitik der EZB unterstützt wurde. Sie ließ die Leitzinsen relativ hoch und trug zu dem schwachen Wachstum in der Bundesrepublik zwischen 2002 bis 2005 bei. Das der deutsche Aufschwung 2006 und ab 2010 ursächlich auf die sozialdemokratischen „Reformen“ zurückzuführen ist, wie in der SPD behauptet wird, dafür fehlen sowohl theoretische als auch empirische Belege. Im Gegenteil, eine Vielzahl von Untersuchungen belegen, dass die Politik der SPD-Regierung krisenverschärfend wirkte. Sie hat zum Lohndruck beigetragen, aber auch das ist keine Erfolgsgeschichte. Im Rahmen der Währungsunion lief das darauf hinaus, dass einerseits hohe Leistungsbilanzüberschüsse bei der Bundesrepublik ausgelöst wurden, andererseits aber bei anderen Ländern der Währungsunion Leistungsbilanzdefizite. In der Konsequenz wurde Kapital aus den Bilanzüberschussländern in Länder mit Bilanzdefiziten exportiert. Ein Teil dieses Kapitals ist abzuschreiben, da für verschiedene Defizitländer eine Rückzahlung nicht möglich sein wird. Trotzdem wird jedoch die Blockade in der Eurozone nicht aufgehoben werden, solange die Dominanz der deutschen Politik mit ihrer neoliberalen Orientierung nicht beendet wird. Eine Steuerung der Investitionen und damit der Konjunktur und eine Geldpolitik im Interesse des Ganzen sind dringender denn je.

Welche Aufgabe hätte die SPD in dieser Situation? Der oben aufgeführte Leitantrag trägt der notwendigen Umorientierung allerdings in keiner Weise Rechnung. Insoweit handelt es sich nicht um starke Ideen sondern um eine Verklärung der eigenen Politik, also Selbstbetrug. Die SPD schwimmt weiter im Fahrwasser des Neoliberalismus a la Merkel und Schäuble, der Gedankenwelt des Besitz- und Bildungsbürgertums, die bis weit in die SPD reicht. Es wäre eigentlich die Aufgabe der SPD, gegenüber dieser Entwicklung ein Gegengewicht zu bilden. Die aktuelle Führung der SPD teilt in zentralen Fragen jedoch die neoliberale Sichtweise und das spiegelt sich auch im Leitantrag wider. Ein Bewusstsein der mit dem Namen von Keynes oder Marx verbundenen makroökonomischen Perspektive ist weitgehend verloren gegangen. Insoweit bleibt die Linke die einzige Partei, die versucht, mit Bündnispartnern ein Gegengewicht zu der herrschenden Politik des Neoliberalismus aufzubauen. Auf absehbare Zeit wird es allerdings schwierig bleiben, Teile der SPD und der Grünen für eine solche Politik zu gewinnen.