Die Geschichte eines Konfliktes- Syriza versus Troika.

von

Dr.Peter Behnen

 

Der Konflikt zwischen Syriza und der Troika (IWF, EZB und EU) gleicht einem Drama in mehreren Akten.

Der erste Akt begann im Januar 2015. Die Parlamentswahlen in Griechenland hatten das Wahlbündnis Syriza als klaren Sieger hervorgebracht. Da Syriza aber zwei Sitze zu einer absoluten Mehrheit fehlten, musste das Wahlbündnis einen Koalitionspartner finden. Syriza mit Alexis Tsipras an der Spitze wollte einen politischen Neuanfang. Das war nur möglich mit der Partei Anel (Unabhängige Griechen), weil sich nur diese Partei scharf gegen den Austeritätskurs der EU bzw.Troika ausgesprochen hatte und bereit war, zusammen mit Syriza einen Konflikt mit der neoliberalen Politik einzugehen. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) hatte schon frühzeitig ein Bündnis mit Syriza abgelehnt, so dass nur Anel als Koalitionspartner in Frage kam, obwohl von verschiedenen Seiten Anel rechtspopulistische Positionen vorgehalten wurden.
Die Ausgangslage der Regierung Tsipras war denkbar schlecht. Die bisherige Regierung Samaras hatte die meisten Auflagen der Troika erfüllt, was verheerende Folgen hatte. Es wurde zwar die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands marginal verbessert, es kam allerdings zu massiven Sozialkürzungen, Deregulierungen des Arbeitsmarktes und Unterschreitung sozialer Mindeststandards. Am Ende der Regierung Samaras stand eine 25%ige Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts sowie eine offizielle Arbeitslosenquote von mehr als 25 Prozent, wahrscheinlich lag sie bei 40 Prozent. Da die Troika die Freigabe einer letzten Kredittranche aus dem zweitenHilfsprogramm verweigerte und die Regierung Samaras weitere Sozialkürzungen innenpolitisch nicht mehr durchsetzen konnte, kam es zu Neuwahlen, die Syriza als Sieger hervorbrachten.

Im zweiten Akt des Dramas stellte Syriza der europäischen Öffentlichkeit die Politik vor, mit der die Regierung Tsipras die katastrophale Hinterlassenschaft der Vorgängerregierungen angehen wollte. Dabei sind zwei Ebenen zu unterscheiden. Erstens ging es um die grundlegende Positionierung zur Politik der EU bzw. der Troika. Wichtige Analysen zu diesem Thema waren schon u.a. vom Levy Economics Institute in New York vorgelegt worden, zu dessen erweitertem Kreis auch Yanis Varoufakis, der neue griechische Finanzminister, zählt. Varoufakis selbst hatte schon seit 2008 zusammen mit Stuart Holland und James K. Galbraith Studien zur Finanz- und Eurokrise durchgeführt. (1) Die Autoren unterscheiden zwischen der Bankenkrise, Schuldenkrise, Investitionskrise und sozialen Krise in der EU. Sie kritisieren vor allem, dass es in der EU nie zu einem gemeinsamen Überwachungsmechanismus, einer gemeinsamen Einlagensicherung und einer gemeinsamen Rekapitalisierung im Falle des Bankrotts von Banken gekommen sei. Im Falle der Schuldenprobleme gelte weiterhin, dass keine europäische Verantwortung für nationale Schulden übernommen werde, sondern Hilfe nur bei rigorosen Sparprogrammen in Aussicht gestellt werde. Die europäische Investitionskrise sei insbesondere dadurch zustande gekommen, dass das Eurosystem erhebliche ökonomische Ungleichgewichte ermöglicht habe und die Defizitländer, die in der Krise Investitionskredite gebraucht hätten, zum Sparen verurteilt wurden. Das Gleiche galt für die soziale Krise in verschiedenen EU-Ländern. Zu allen Aspekten der Krise legten Varoufakis und seine Mitautoren Lösungsvorschläge vor, die die europäischen Überschussländer marginal belastet und die europäischen Defizitländer durch einen europäischen New Deal auf den Wachstumspfad zurückgeführt hätten. (2)
Auf Griechenland bezogen hatte zweitens einer der führenden Ökonomen Griechenlands, Jannis Milios, bereits im Januar 2015 ein Erneuerungsprogramm für Griechenland vorgeschlagen. Er nennt drei Schwerpunkte und verschiedene Einzelmaßnahmen. (3)
1. Der Produktionsapparat Griechenlands sei zu modernisieren.
2. Die Sparauflagen der Troika seien stark zu vermindern.
3. Der Schuldendienst Griechenlands sei so zu gestalten, dass er auch tragbar sei.
Als Einzelmaßnahmen schlug er vor:
1. Die Steuerverwaltung müsse neu organisiert werden.
2. Hohe Einkommen seien stärker zu belasten.
3. Steuerbefreiungen für Reedereien und die orthodoxe Kirch seien aufzuheben.
4. Einkommen und Vermögen seien umzuverteilen.
5. Finanzmarkttransaktionen und Käufe von Luxusgütern seien zu besteuern.
6. Das Bankgeheimnis sei aufzuheben.
7. Offshoreunternehmen seien zu verbieten.

 

(1) Siehe Varoufakis, Holland, Galbraith : Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise, München 2015.
(2) Siehe a.a.O. S. 30 ff.
(3) Siehe Berliner Zeitung vom 12.1.15
Der dritte Akt bezog sich auf die Reaktion der Troika bzw. der Institutionen, wie sie nun genannt wurde. Bisher hatten die EU-Eliten versucht, Krisenländer durch Sparauflagen aus der Krise zu führen. Dass diese Politik gescheitert ist, wollen führende EU-Politiker bis heute nicht wahrhaben. Alexis Tsipras machte dem gegenüber von Anfang an klar, dass es für Griechenland und andere Schuldenländer nur eine europäische Lösung geben könne. Ein Teil der Schulden müsse abgeschrieben und der Rest auf eine erträgliche Weise getilgt werden. Er wies deutlich darauf hin, dass bisher etwa 240 Mrd. Euro aus den europäischen „Rettungsfonds“ gekommen seien, die aber nicht in reale Investitionen für Griechenland sondern zu 90 Prozent direkt an private Gläubiger geflossen seien. So könne Griechenland nicht aus der Krise befreit und eine neue Investitionsentwicklung eingeleitet werden.
Im Februar 2015 wurde in drei Verhandlungsrunden zwischen der griechischen Regierung und den Institutionen allerdings deutlich, dass die jetzt öffentlichen Gläubiger nicht bereit waren, ihre neoliberale Sanierungspolitik aufzugeben. Das wurde vor allem durch das Verhalten der deutschen Bundesregierung in der Person Wolfgang Schäubles klar. Der Bundesfinanzminister Schäuble galt als Hardliner bei den Verhandlungen mit der griechischen Regierung. Er nahm nicht zur Kenntnis, welche verheerende Wirkung das EU- Programm für Griechenland bisher hatte. Er behauptete, Griechenland sei auf einem „guten Weg“ seine Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erlangen. Der „gute Weg“ hatte jedoch eine humanitäre Katastrophe in Griechenland ausgelöst. Es kam im Februar zu einer vorläufigen Einigung mit den Institutionen, nachdem die griechische Regierung unter Druck eine „Reformliste“ akzeptiert hatte. Die griechische Regierung ließ wesentliche Punkte ihrer politischen Vorhaben fallen und musste die Zusicherung geben, keine bisherigen „ Reformen“ der Troika zurückzunehmen. Dafür wurde das zweite „Hilfsprogramm“ der EU bis zum 30. Juni 2015 verlängert.

Der vierte Akt des Dramas bestand aus einem Verhandlungsmarathon zwischen der griechischen Regierung und den Institutionen, der sich über Monate hinzog. Es ging vor allem um die Kredittranche von 7,2 Milliarden Euro, die Griechenland noch aus dem 2.Programm gezahlt werden sollte. Die griechische Regierung schaffte es nicht, sich gegen die Hardliner in der EU durchzusetzen. Die Regierung Tsipras hoffte, in der Zeit bis Ende Juni eigene Vorstellungen zur Reformpolitik in Griechenland zum Tragen kommen zu lassen und ab Juli einen eigenen Entwicklungsplan verwirklichen zu können. Diese Hoffnung zerplatzte u. a. deswegen, weil die griechische Regierung permanent Kredite bedienen und eigene Staatsausgaben finanzieren musste, ohne Hilfe von den Institutionen zu erhalten. Es waren Zahlungen an den IWF in Höhe von 824 Millionen Euro zu leisten und mit 1,6 Mrd. Euro eine laufende Staatsanleihe zu ersetzen. Außerdem waren 2 Mrd. Euro an Gehältern und Renten im öffentlichen Dienst zu zahlen. So verging viel Zeit, ohne dass ein wirkliches Reformprogramm der Regierung Tsipras in Gang gesetzt werden konnte. Die 7,2 Mrd. Euro. die für Griechenland aus dem verlängerten „Hilfsprogramm“ zu erwarten waren, wurden nicht ausgezahlt, solange man sich mit den Institutionen nicht auf sogenannte „Strukturreformen“ geeinigt hatte. Unter diesen Reformen verstanden die Institutionen weiterhin Lohnkürzungen, Rentenkürzungen, Mehrwertsteuererhöhungen und Deregulierungen am Arbeitsmarkt, also eine Weiterführung der humanitären Katastrophe.
Dem waren die Forderungen bzw. Vorhaben der Regierung Tsipras diametral entgegengesetzt. Ihre Reformliste bestand im Wesentlichen darin, Steuerhinterziehungen und Steuerbetrug zu bekämpfen und den Kampf gegen die Korruption aufzunehmen. Dazu gehören der Kampf gegen den illegalen Handel mit Öl, Zigaretten und Alkohol. Ferner sollten Verwaltungsreformen vorgenommen, die Steuerverwaltung umgebaut und keine neuen Privatisierungen durchgeführt werden. Weitere Kürzungen bei den Löhnen und Renten wurden abgelehnt. Diese Vorhaben der griechischen Regierung machten deutlich, dass sie ein anderes Verständnis von gesellschaftlichen Strukturreformen hatte und sich Spardiktaten widersetzte.

Im fünften Akt spitzte sich die Lage für Griechenland seit Anfang Juni 2015 weiter zu, insbesondere deshalb, weil die Verlängerung des EU-Programms Ende Juni ablief. Inzwischen wurde offen über einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone diskutiert (Grexit). In der Bundesrepublik machten vor allem die Bild-Zeitung zusammen mit anderen Medien Stimmung gegen den Verbleib Griechenlands in der Eurozone. Die Unsicherheit in der Bevölkerung nahm zu. Ablesbar an Meinungsumfragen zeigte sich, dass die Bereitschaft, Griechenland weiter zu unterstützen, abnahm. Es entstand eine Mischung aus Ressentiments gegenüber dem griechischen Volk und Desinteresse gegenüber den Folgen einer griechischen Insolvenz. Die Unwissenheit über Ursachen und Lösungsmöglichkeiten der Krise war weit verbreitet. Ob ein Grexit Sinn macht, war quer durch die politische Landschaft umstritten. Das galt sowohl für konservative bis reaktionäre Parteien als auch für sozialdemokratische und linkssozialistische Parteien einschließlich Syriza selbst. Fest steht jedenfalls, dass über 70 Prozent der befragten Griechen den Verbleib in der Eurozone wollten. Das war und ist verständlich, weil gesehen wurde, dass ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone verheerende Konsequenzen für weite Bevölkerungsteile in Griechenland haben würde.

1. Es würde eine Verschärfung der humanitären Katastrophe ausgelöst. Es entstünde eine Inflationierung lebenswichtiger Importgüter wie z.B. Lebensmittel, Arzneimittel und auch von Industriegütern.

2. Die Landwirtschaft und der Tourismus, die eigentlichen Exportbereiche, wären nicht in der Lage trotz gestiegener Wettbewerbsfähigkeit, Griechenland aus der Krise zu ziehen. Es wäre ein weiteres Schrumpfen großer Teile der Realwirtschaft zu erwarten, optimistische Annahmen liegen bei 10 Prozent. Das Defizit der Handelsbilanz würde sich steigern, die Realeinkommen weiter sinken und die Arbeitslosigkeit noch weiter zunehmen. Die humanitäre Katastrophe ginge in eine neue Runde.

3. Das Schuldenproblem würde nicht gelöst. Im Gegenteil, alle Zahlungsverpflichtungen in Euro würden aufgewertet, das heißt, Staatsschulden und private Schulden in Euro nähmen zu.

Die Frage ist somit, welche Alternativen aus einer linken Position vorzuschlagen sind und welchen Weg die EU in der näheren Zukunft gehen wird?

Das Kernproblem ist, den Schrumpfungsprozess der griechischen Wirtschaft aufzuhalten. Es muss eine Erneuerung des privaten und öffentlichen Kapitalstocks und ein sozial- ökologisches Wachstum erreicht werden. Dazu ist es notwendig, dass die öffentlichen Gläubiger die Politik des Kaputtsparens beenden. Eine rationale Schuldenregelung mit Schuldenschnitten für Griechenland und andere Schuldnerländer der EU ist dringend erforderlich. Es muss eine Investitionsoffensive für Griechenland und in der EU insgesamt eröffnet werden. In Griechenland selbst ist ein radikales Reformprogramm zu verwirklichen. Es müssen allerdings Reformen sein, die dem Land auch wirklich helfen und nicht den ökonomischen und sozialen Abstieg befördern. Es muss vor allem darum gehen, einen effektiven öffentlichen Dienst und eine entsprechende Steuerverwaltung aufzubauen. Steuerbetrug, Korruption und Klientelwesen sind offensiv anzugehen und damit auch die humanitäre Krise Schritt für Schritt zu bekämpfen. Das Bankensystem ist zu regulieren und sicherzustellen, dass bevorzugt nationale Investitionsprojekte, die die Lebensqualität steigern, finanziert werden. Es muss verhindert werden, dass griechische Besitzbürger und ausländische Unternehmen und Fonds, die schnelle Profite auf Kosten der Allgemeinheit erzielen wollen, ein neues Betätigungsfeld erhalten.

Der Schlussakt des Dramas war kurz und bündig. Es war absehbar, dass die oben skizzierte Alternative den Interessen der Institutionen zuwiderlief und keine Bereitschaft bestand, die neoliberale Sanierungspolitik wesentlich zu ändern. Das bestätigte sich, als Griechenland am letzten Juni-Wochenende ultimativ aufgefordert wurde, noch mehr Kürzungen bei Arbeitseinkommen und Renten zu akzeptieren. Im Gegenzug hätte Griechenland ein kleines Finanzpaket erhalten, von dem die Gläubiger selbst sagten, dass es angesichts der Probleme unzureichend sei. Sie stellten deshalb ein drittes „Hilfsprogramm“ für den Herbst in Aussicht, mit dem wie bisher nur der Schuldendienst am Laufen gehalten werden sollte. Es war weder von einem Schuldenschnitt noch Investitionsprogramm die Rede.
Die Regierung Tsipras bezeichnete das Vorgehen der Institutionen als erpresserisch und beschloss, für den 5. Juli 2015 ein Referendum über den zuletzt vorgelegten Vorschlag der Institutionen abzuhalten. Alexis Tsipras machte auch deutlich, dass seine Regierung diesen Vorschlag der Institutionen nicht akzeptieren könne. Die Institutionen beharrten auf ihrem Diktat und erklärten die Gespräche mit der griechischen Regierung für beendet.
Das Referendum ergab bei einer Wahlbeteiligung von 62 Prozent ein deutliches Votum für die Position Syrizas. Gut 62 Prozent der abgegebenen Stimmen sprachen sich gegen die neoliberale Kürzungspolitik der EU aus und etwa 38 Prozent wären bereit gewesen, weitere Kürzungen hinzunehmen.

Epilog.
Das weitere Vorgehen nach dem Referendum war offen, die Zahlungsunfähigkeit und der Grexit rückten in greifbare Nähe. Kurzfristig hing viel davon ab, ob die EZB weiterhin bereit war, kurzfristige Hilfskredite an die griechischen Banken zu vergeben. Sicher ist, dass durch das griechische Votum auch eine Stärkung der reformistischen und pro-europäischen Linken in anderen Ländern erfolgen kann. Unsicher war jedoch, ob die Institutionen eine Korrektur ihrer Position vornehmen werden. Ein Großteil der politischen Elite der Eurozone stellte bei Ablehnung des Sparprogramms bisher immer die Mitgliedschaft Griechenlands in der Währungsunion in Frage. Der inzwischen zurückgetretene Finanzminister Varoufakis und viele andere Beobachter waren der Auffassung, dass die bisherigen Vorschläge der Institutionen die griechische Ökonomie nicht aus der Abwärtsspirale herausholen können. Im Gegenteil, es wäre mit einer Verschärfung der Lage zu rechnen. Das es zu dieser Situation gekommen ist, hat vor allem damit zu tun, dass die drei Institutionen bereits 2010 einen Schuldenschnitt ablehnten und so taten, als ob Griechenland seine Schulden bei entsprechender Austeritätspolitik zurückzahlen könnte. Die heutige Situation hätte vermieden werden können, wenn schon damals ein Schuldenschnitt vorgenommen und dem Land wirkliche Strukturreformen, z.B. in der Steuerverwaltung und im Steuersystem allgemein, abverlangt worden wären.

Vor neuen Verhandlungen in Brüssel war klar, dass von einer sehr schwierigen ökonomischen Lage Griechenlands ausgegangen werden musste. Griechenland war gegenüber dem IWF im Zahlungsverzug und konnte von dort keine neuen Kredite erlangen. Das griechische Bankensystem brach nur deswegen noch nicht zusammen, weil es durch Notfallkredite der EZB über Wasser gehalten wird. Ansonsten hätte der seit Monaten andauernde Abfluss von Einlagen nicht kompensiert werden können. Es wurden Kapitalverkehrskontrollen eingeführt, wie 2003 in Zypern geschehen. das heißt, es ist nur noch eingeschränkt möglich Barabhebungen und Überweisungen durchzuführen. Durch die Schuldenlast, bei der EFSF immerhin 145 Mrd. Euro, verbleibt Griechenland in der Abwärtsspirale.
Die Institutionen erwarteten schwierige Verhandlungen mit Griechenland. Die Kernaussage der jüngsten Analyse des IWF besagte, dass selbst bei optimistischen Annahmen 2020 eine Staatsverschuldung von 150 Prozent des BIP und 2022 mit 140 Prozent zu rechnen sei, Um die vereinbarten Schuldengrenzen zu erreichen, sei ein Schuldenschnitt unausweichlich. Doch neoliberale Ökonomen, zum Beispiel Hans –Werner Sinn und Joachim Stabatty, vertraten immer noch die Ansicht, ein Grexit und die Einführung einer Parallelwährung könne Griechenland die Wettbewerbsfähigkeit zurückbringen. Eine Abwertung führe zu einem Wirtschaftsboom. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass in Griechenland der Exportsektor inzwischen sehr geschrumpft und die De-Industrialisierung weit fortgeschritten ist, eine Abwertung also kaum Wirkung haben würde. Außerdem käme es zu einer Verschärfung der humanitären Katastrophe, wie bereits oben dargestellt wurde.
Angesichts dieser Ausgangslage kam es zwischen Griechenland und den Institutionen zu Verhandlungen, die die endgültige Entscheidung über den weiteren Umgang mit der griechischen Schuldenkrise bringen sollte. Vorher wurde die griechische Regierung in einem Ultimatum gezwungen, den Institutionen neue Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Die Regierung Tsipras wollte durch Steuererhöhungen, einer Rentenreform und den Umbau des öffentlichen Sektors die Bedingungen der internationalen Gläubiger erfüllen, um ein drittes Hilfsprogramm zu erhalten. Das Ziel war, einen Grexit zu vermeiden, die ökonomische Abwärtsspirale zu durchbrechen und die politische Souveränität zurückzugewinnen. Die vorgeschlagene Liste enthielt folgende Punkte:

1. Die Einahmen des Staates sollen verbessert und die Steuerhinterziehung bekämpft werden. Die Unternehmenssteuer soll von 26 auf 28 Prozent erhöht und Treibstoffsubventionen für Landwirte abgeschafft werden.
2. Der Normalsatz der Mehrwertsteuer soll 23 Prozent betragen, Rabatte für Inseln schrittweise abgeschafft werden.
3. Es sollen Steuererhöhungen für die Schiffsindustrie erfolgen und Steuervergünstigungen für die Industrie allgemein zurückgefahren werden. Die Luxussteuer für Luxusfahrzeuge soll von 10 auf 13 Prozent steigen.
4. Das Rentensystem soll umgebaut werden. Die Zahl der Frührentner soll gesenkt und das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre gesteigert werden. Ausnahmen soll es für harte körperliche Arbeiten und Mütter mit behinderten Kindern geben. Krankenbeiträge für Rentner und Rentnerinnen sollen von 4 auf 6 Prozent steigen. Sonderzahlungen für RentnerInnen mit niedrigem Einkommen sollen wegfallen.
5. Militärausgaben sollen gekürzt und der Mililtärhaushalt bis 2016 um 300 Millionen Euro abgeschmolzen werden.
6. Die Behörden werden die Arbeitseinkommen von Staatsbeschäftigten neu regeln und bestimmte Leistungen der EU-Norm anpassen.
7. Die griechische Regierung sagt einen verbindlichen Zeitplan für die Privatisierung von Staatsunternehmen zu.

Im Gegenzug erwartete die griechische Regierung Finanzhilfen von 53,5 Mrd. Euro bis 2018 sowie sowie bis 2020 35 Mrd.Euro aus dem Strukturfonds der EU. Mit den Mitteln aus dem Strukturfonds sollten Investitionsprojekte angeschoben werden.

Die Reaktion auf die Vorschläge der griechischen Regierung war unterschiedlich. Kritik kam vom linken Flügel der Syriza, aber auch von Koalitionspartner Anel. Sie verwiesen auf den Widerspruch zu den Vorgaben des Referendums. Frankreichs Präsident Hollande lobte die griechischen Vorschläge, ebenso moderate Töne kamen von der italienischen Regierung.. Im Gegensatz dazu wuchs die Zahl der Befürworter eines Grexit in Finnland und Lettland. Insgesamt schien es offen, wie die Verhandlungen der Finanzminister der Eurozone ausgehen würden. Zur Diskussion stand, ob man den Institutionen ein Mandat zur Aufnahme von Verhandlungen über das von Athen beantragte 3.Hilfsprogramm erteilt. Ein Grexit schien auch nicht mehr ausgeschlossen, insbesondere nachdem Finanzminister Schäuble einen befristeten Grexit ins Spiel gebracht hatte. Die Eurogruppe konnte sich nicht einigen, so dass der weitere Fortgang der Verhandlungen zur Chefsache wurde.
Nach langen Verhandlungen einigte sich die griechische Regierung mit den Gläubigern auf ein dreijähriges Hilfsprogramm. Sie musste dafür harte politische und ökonomische Auflagen akzeptieren. Athen erhält faktisch eine Umschuldung von 50 Mrd. Euro für die nächsten 3 Jahre, davon werden griechische Banken mit etwa 25 Mrd.Euro rekapitalisiert. Damit werden Ersparnisse und Rücklagen vor der Vernichtung gerettet. Außerdem wird es Mittel aus dem EU-Kohäsionsfonds von 35 Mrd. geben und 12,5 Mrd. aus dem Privatisierungsfonds für direkte Investitionen. Ein Schuldenschnitt wird ausdrücklich ausgeschlossen. Es wird gefordert, das Steuersystem zu stärken und in der Binnenwirtschaft sogenannte Liberalisierungen vorzunehmen. Das gilt zum Beispiel für Ladenöffnungszeiten. Ebenso gilt es Deregulierungen am Arbeitsmarkt durchzusetzen. Das bedeutet Senkungen der Lohnhöhe und Aufweichung des Kündigungsschutzes. Der neoliberale Druck wird besonders deutlich, wenn die Maßnahmen der Privatisierung betrachtet werden. Es soll griechisches Staatsvermögen einem Fonds übertragen werden und durch den Verkauf des Vermögens 50 Mrd. Euro eingenommen werden. Das Geld soll zur Schuldenrückzahlung eingesetzt werden und nur 12,5 Mrd. Euro für Investitionen in die griechische Wirtschaft.
Die Überwachung der Privatisierung übernehmen EU-Organe. Insgesamt wird deutlich, dass die Vorgaben der Eurozone weit über die von der Regierung Tsipras vorgelegte Liste hinaus gehen.

Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket für Griechenland sollen erst beginnen, wenn im Eilverfahren die Brüsseler Beschlüsse durch das griechische Parlament und die anderen europäischen Regierungen bzw. Parlamente abgesegnet wurden. Aus linker Sicht ist festzuhalten, dass die Verhandlungen in Brüssel einer neoliberalen Erpressungspolitik gleichkommen. Es fand eine weiter Beschädigung der parlamentarischen Willensbildung und nationalen Souveränität statt. Die Rückkehr der Troika-Praxis ist u.a. dadurch gegeben, dass die griechische Regierung einen Teil ihrer Haushaltsautonomie verliert. indem automatisch Staatsausgaben zu kürzen sind, wenn bestimmte Sparziele nicht erreicht werden. Es ist zu erwarten, dass schon bald eine erweiterte Koalition das Land regieren wird.
Der Deal in Brüssel macht darüber hinaus deutlich, dass die europäische Währungsunion in einer tiefen Strukturkrise steckt. Es gibt keinen Ansatz, Wirtschaftskrisen ihrer Mitglieder effektiv und solidarisch zu bekämpfen. Das Rezept der Sparpolitik führt noch tiefer in die Krise. Mit den sogenannten „Strukturreformen“ in Ländern wie Griechenland, Irland, Portugal und Spanien sind die Schulden noch weiter explodiert. Statt die Eurozone dauerhaft zu stabilisieren wurden nationalistische Ressentiments hervorgerufen. Ob sich die griechische Ökonomie auf den Wachstumspfad zurückkehrt ist mehr als unsicher. Erholt sich die griechische Wirtschaft nicht, könnte sich das Land bald wieder vor der Staatspleite befinden. Das gilt ebenso für andere Krisenländer der Eurozone. Dann würde noch klarer als heute, dass man sich mit den Beschlüssen von Brüssel nur Zeit gekauft hat. Die neoliberale Politik und die Konstruktion der Eurozone werden erst dann wieder auf den Prüfstand kommen, wenn für eine größere Anzahl von Euroländern sich die ökonomische und soziale Lage zuspitzt und damit ist auf absehbare Zeit zu rechnen