Das Wirtschaftsmodell der Bundesrepublik (1)

von

Dr.Peter Behnen

Die Auseinandersetzung um die Zahlungsfähigkeit Griechenlands hat auch das deutsche Wirtschaftsmodell wieder in die Diskussion gebracht. De Urteile über das Modell fallen unterschiedlich aus. Einerseits werden die hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit und das erfolgreiche Krisenmanagement gelobt, andererseits aber auch kritisiert, dass die bundesdeutsche Wirtschaft einseitig auf Exporte orientiert sei und durch seinen hohen Leistungsbilanzüberschuss entscheidend zu den ökonomischen Ungleichgewichten in Europa beigetragen habe. Besonders die deutsche Bundesregierung vertritt die These, mit einer hohen Wettbewerbsfähigkeit, wie in der Bundesrepublik, könnten alle Länder die Krise hinter sich lassen. Dieser Gedanke ist schon deswegen absurd, weil nicht alle Länder gleichzeitig Leistungsbilanzüberschüsse aufweisen können, denn das widerspricht jeder volkswirtschaftlichen Saldenmechanik. Zu Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen gehören auch immer Länder mit Leistungsbilanzdefiziten.

Kritiker des deutschen Wirtschaftsmodells argumentieren, die Ungleichgewichte in Europa seien vor allem dadurch zu erklären, dass die Bundesrepublik das einzige Land in Europa sei, das eine Stagnation der nominalen Lohnstückkosten aufzuweisen habe. Das habe die Wettbewerbsfähigkeit der BRD-Wirtschaft erheblich verbessert. Einige Kritiker gehen noch weiter und werfen der Bundesrepublik eine Lohndumping-Strategie vor, wodurch Deutschland auf Kosten anderer Länder seinen wirtschaftlichen Erfolg erzielt habe. Hier ist allerdings anzumerken, dass die Vorstellung eines sehr engen Zusammenhangs von Lohnentwicklung, Wettbewerbsfähigkeit und Exportentwicklung nur vorausgesetzt weniger aber genauer hinterfragt wird. Zwei kritische Anmerkungen sollen hierzu aufgeführt werden.

1. Die Frage der Wettbewerbsfähigkeit einer Gesellschaft ist nicht nur auf die Entwicklung der Lohnstückkosten zu reduzieren. Sie sind zweifellos eine wesentliche Größe, wichtig sind aber die Bedingungen der Wertschöpfung insgesamt, das heißt, die Geldlöhne sind nur als ein Teil der Wertschöpfung zu betrachten. Analysiert man die Frage der Wettbewerbsfähigkeit auf der Grundlage der Marxschen Theorie, so ist es erforderlich, die Verwertung des eingesetzten Kapitals, national und international, zu untersuchen. Größen wie die Mehrwertrate, Profitrate, Profitmasse, Kredit und Zins, Staatstätigkeit und Weltmarktentwicklung sind dabei von besonderer Bedeutung, wenn die Wettbewerbsfähigkeit einer Gesellschaft erklärt werden soll.(2) Nur durch solch einen umfassenden Ansatz lässt sich für die Bundesrepublik erfassen, warum sie 2012/2013 eine Exportquote von etwa 46% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und eine Importquote von etwa 40% des BIP zu verzeichnen hatte. Das Ergebnis war ein Handelsüberschuss von mehr als 160 Mrd. Euro in den Jahren 2012 und 2013.

2. Besonders in Untersuchungen von Gewerkschaften wird darauf hingewiesen, dass die Wettbewerbsfähigkeit auch immer nicht-preisliche Elemente aufweist. „ Zu den Kernelementen nicht-preislicher Wettbewerbsfähigkeit gehören vor allem die Herstellung innovativer und spezialisierter Produkte, hoher technologischer Standard, eine hohe Qualität von Produkten und Dienstleistungen sowie gute und verlässliche Wirtschaftsbeziehungen.“ (3) Bei einer solch umfassenden Betrachtung „ gehören zur nicht-preislichen Wettbewerbsfähigkeit auch grundlegende gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie die technologische und juristische Infrastruktur, das System der Aus- und Weiterbildung, die Bedeutung von Forschung und Entwicklung und die Kultur der Arbeitsbeziehungen,“(4)

Ist also das deutsche Wirtschaftsmodell als vorbildlich für Europa zu betrachten?
Es ist zwar klarzustellen, dass die Entwicklung der Lohnstückkosten nicht der alleinige Faktor für den Erfolg der deutschen Exportindustrie ist, es ist aber ebenso klar, dass sie mitverantwortlich ist für die unterentwickelte Binnenwirtschaft der Bundesrepublik. Die sinkende Lohnquote führte zu einer massiven Umverteilung zugunsten der Kapital- und Vermögensbesitzer. Außerdem hat die herrschende Politik zur Ausweitung eines starken Niedriglohnsektors beigetragen. Beide Entwicklungen schwächten die Binnennachfrage der Bundesrepublik und damit auch die Exportmöglichkeiten anderer Länder. Die Folge waren zunehmende ökonomische Ungleichgewichte in Europa. Die Situation in Südeuropa zeigt außerdem, dass sich das deutsche Modell nicht auf diese Länder übertragen lässt, weil die industriellen Voraussetzungen für ein exportorientiertes Modell fehlen. Griechenland zum Beispiel hat nur den Tourismus, den Schiffstransport und die Landwirtschaft als Sektoren aufzuweisen, die zum Export beitragen könnten. Eine restriktive Lohnentwicklung und Sozialabbau haben in diesen Ländern dazu geführt, dass die private Nachfrage eingebrochen ist und die wirtschaftliche Erholung blockiert wurde, ein Zugewinn an Wettbewerbsfähigkeit blieb aus. Selbst für die Bundesrepublik ist ihr eigenes Wirtschaftsmodell höchst problematisch. Es beruht darauf, dass andere Länder Leistungsbilanzdefizite haben und hat zur Folge, dass sowohl die Binnenkonjunktur schwächelt als auch eine hohe Abhängigkeit vom Weltmarkt und seinen Risiken entsteht. Insoweit ist auch inzwischen in der internationalen Diskussion, u.a. im IWF und der Europäischen Kommission, der Vorwurf entstanden, die Bundesrepublik habe sein Wirtschaftsmodell zu wenig ausbalanciert und seine Binnenwirtschaft zu wenig entwickelt. Neben der Lohnpolitik ist es vor allem auch die Fiskalpolitik, die durch den Ausbau von öffentlichen Investitionen den Binnensektor stärken müsste. Das bisherige Wirtschaftsmodell grundlegend zu verändern wäre also nicht nur im Interesse der BundesbürgerInnen sondern auch zum Wohle der gesamten europäischen Wirtschaft.

(1) Siehe hierzu: Thorsten Schulte, Sozialismus 4/2015, S.42-46

(2) Siehe hierzu: Stephan Krüger, Entwicklung des deutschen Kapitalismus 1950-2013, Hamburg 2015.

(3) Thorsten Schulte a.a.O. S. 45

(4) a.a.O. S.45