„Strukturreformen“ und der Streit um Reformlisten Griechenlands.

von

Dr.Peter Behnen

Permanente Spekulationen über die Zahlungsunfähigkeit der Regierung Tsipras beherrschen fast täglich die europäischen Medien, wobei der Boulevard auch nicht vor dem Griff in die unterste Schublade der Diffamierungen zurückschreckt. Dagegen betonen Regierungsmitglieder der Regierung Tsipras immer wieder, Griechenland werde seinen Zahlungsverpflichtungen pünktlich nachkommen, gerade geschehen durch Finanzminister Varoufakis beim Internationalen Währungsfonds (IWF), bei dem eine Rückzahlung von 450 Millionen Euro fällig wird.

Von besonderer Wichtigkeit für die griechische Regierung ist die Auszahlung von 7,2 Milliarden Euro, die noch aus verschiedenen Quellen offen stehen und zu dem verlängerten Hilfsprogramm der EU gehören. Die Auszahlung hängt davon ab, ob eine Verständigung über das Reformprogramm Griechenlands erreicht werden kann. Das Stichwort lautet „Strukturreformen.“ Darunter verstand die Troika (EU-Kommission, EZB und IWF) bisher ein hartes Sparprogramm, das Griechenland zur neuen Wettbewerbsfähigkeit führen und die Interessen der Gläubiger erfüllen sollte. Nach 5 Jahren der ökonomischen Schrumpfung hat Griechenland eine humanitäre Katastrophe erlebt und auch außenwirtschaftlich kaum profitiert. Dass die griechische Exportindustrie wenig profitierte ist kein Wunder, da der Außenhandelssektor sehr klein ist und sich im Wesentlichen auf den Tourismus, den Schiffstransport und die Landwirtschaft stützt. Insgesamt muss festgestellt werden, dass die Politik der EU als gescheitert anzusehen ist.
Die Konsequenz der Regierung Tsipras bestand deshalb darin, die humanitäre Katastrophe in Griechenland zu bekämpfen, das heißt, der Arbeitslosigkeit, der Verarmung eines Großteils der Griechen und der Zerstörung des Sozialstaates den Kampf anzusagen. Die griechische Regierung kämpft um einen Bruch mit der bisherigen Klientelpolitik im Inland sowie mit der aufgezwungenen Austeritätspolitik der EU. Durch die Stärkung der Binnenwirtschaft will die Regierung Tsipras eine neue Grundlage für die öffentlichen Finanzen und damit auch für die Schuldentilgung schaffen. Dazu hat die Regierung eine Liste mit Vorschlägen vorgelegt, die die auf der Basis realistischer volkswirtschaftlicher Größen erstellt wurde. Das Ziel ist, die offenen Tranchen in Höhe von 7,2 Milliarden Euro von der EU zu erhalten. Die wesentlichen Punkte der Liste sind:
1. Die Regierung Tsipras will Mehreinnahmen von 6 Milliarden Euro erreichen. Die Regierung setzt ihre Hoffnung auf die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen und Steuerbetrug. Allein 875 Millionen Euro soll die Überprüfung von Offshore-Überweisungen bringen, 400 Millionen Euro der Kampf gegen illegalen Handel von Zigaretten, Alkohol und Öl. Außerdem soll das Mehrwertsteuersystem reformiert werden.

2. Die Regierung schätzt, dass 85% der Steuerschulden (75 Milliarden Euro) nicht eingetrieben werden können und hofft, wenigstens den restlichen Teil eintreiben zu können. Die Regierung Tsipras will außerdem die Schwarzarbeit bekämpfen und die Steuerverfahren abkürzen.

3. Neue Computersysteme in der Verwaltung sollen 100- 200 Millionen Euro an Einnahmen und Einsparungen erbringen. Das Glücksspiel soll streng reguliert und TV-Lizenzen versteigert werden. Auch hier sollen mehrere Hundert Millionen Euro eingenommen werden.

4. Alle begonnenen Privatisierungen sollen zum Abschluss gebracht werden. Die Regierung Tsipras erwartet hier etwa 1,5 Milliarden Euro. Neue Privatisierungen sollen nicht durchgeführt werden.

5. Zur Bekämpfung der humanitären Krise sind Ausgaben in Höhe von 1,1 Milliarden Euro vorgesehen. Weitere Kürzungen im griechischen Rentensystem oder eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes werden abgelehnt.

Die vorgelegte Liste macht deutlich, dass die griechische Regierung ein anderes Verständnis von Strukturreformen hat als die Troika bzw. die sogenannten Institutionen. Die Regierung Tsipras betrachtet die Reformliste als ein Sofortprogramm zur Überwindung der humanitären Krise und als Übergangsprogramm zur Stärkung der griechischen Wirtschaftskraft. Doch es ist damit zu rechnen, dass selbst diese Vorschläge auf erheblichen Widerstand bei den EU-Hardlinern treffen. Botschaften aus Brüssel, zuletzt von dem sozialdemokratischen EU- Präsidenten Martin Schulz, lassen bisher nicht darauf schließen, dass sehr schnell ein Kompromissweg gefunden wird.