WOLFGANG SCHÄUBLE UND DAS „REFORMPAKET“ FÜR GRIECHENLAND.

von

Dr.Peter Behnen

Der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gilt als Hardliner bei den Verhandlungen mit der griechischen Regierung. Er hat seine Sicht der ökonomischen Realität Griechenlands in einem Interview mit dem Deutschlandfunk dargelegt( 16.2.15). Schäuble meint, Griechenland sei auf einem „guten Weg“ die Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erlangen und der Weg der letzten Jahre habe dazu geführt, die Arbeitslosigkeit langsam abzubauen. Griechenland müsse sich entscheiden, ob es das „Hilfsprogramm“ der EU weiter annehmen wolle oder nicht.

Schäuble will oder kann offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen, welche verheerende Wirkung das Programm für Griechenland bisher hatte. Bemerkenswert ist aber auch, dass viele Leitmedien ein verzerrtes Bild der Regierung Tsipras bieten und die Politik der Bundesregierung kaum hinterfragen. Ein Blick auf die Realität der ökonomischen Entwicklung Griechenlands von 2000 bis heute bietet ein ganz anderes Bild als das der Öffentlichkeit vermittelte. Der Weg Griechenlands lässt sich zum Beispiel an der Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts ablesen. Bis Anfang 2008 hatte Griechenland ein schnelles Wachstum des Bruttoinlandsprodukts( BIP) zu verzeichnen und zu Beginn der Finanzkrise einen nur unwesentlich stärkeren Einbruch des BIP als zum Beispiel die Bundesrepublik. Der Unterschied zeigte sich dann aber ab dem Frühjahr 2009. Für die Bundesrepublik kam es zu einer schnellen konjunkturellen Wende insbesondere deswegen, weil die gesellschaftliche Nachfrage durch verschiedene staatliche Maßnahmen gestärkt wurde. Griechenland dagegen, das bereits ein sehr hohes staatliches Defizit und Leistungsbilanzdefizit hatte, konnte nicht gegensteuern. Die mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit trat offen zutage und die Kreditwürdigkeit der privaten und öffentlichen Schuldner brach ein. Nach längerem Zögern der EU erhielt Griechenland im Mai 2010 zum ersten Mal „ Hilfen“ um seine Zahlungsfähigkeit zu erhalten. Das Geld floss nicht in Konjunkturprogramme zur Stärkung der Investitionen und des Konsums sondern überwiegend in die Taschen der Gläubiger. Damit verbunden wurden strikte Sanierungsauflagen für den griechischen Staatshaushalt. Die Folge war ein ökonomischer Rückgang, der vergleichbar ist mit der Großen Depression der USA in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es wurde deutlich, dass der Rückgang besonders drastisch war, seitdem das „Hilfsprogramm“ der EU aufgelegt worden war. Auch im Vergleich zu Portugal, Spanien und Italien war der griechische Einbruch gewaltig.

Der „gute Weg“, von dem Schäuble sprach, war eine humanitäre Katastrophe. Dass das an dem Sanierungsprogramm lag, wollen die politischen Eliten der EU und insbesondere der Bundesrepublik bis heute nicht wahrhaben. Die Sichtweise Schäubles und vieler seiner Kollegen basiert in der Regel auf drei Argumenten.

1. Es wir behauptet, der gewaltige Einbruch seit 2010 in Griechenland habe mit der Korruption zu tun. Das ist aber völlig unplausibel, denn die Korruption hat ja nicht erst seit 2010 begonnen oder dann erst schlagartig eingesetzt.

2. Ferner wird behauptet, die Steuerhinterziehung sei maßgebend für den gewaltigen Einbruch. Auch hier ist zu entgegnen, dass die rasante Talfahrt ab 2010 nicht durch eine schlagartige Steuerhinterziehung eingetreten ist. Die Steuerfreiheit bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, zum Beispiel der Reeder, und die Steuerhinterziehung, insbesondere von Teilen der Mittelklassen, gab es schon seit geraumer Zeit.

3. Ein Argument, das immer aufgeführt wird, besteht darin, die Griechen hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Dahinter verbirgt sich das Problem, dass das Wachstum der griechischen Nachfrage sich aus Lohnzuwächsen speiste ohne dass die Wettbewerbsfähigkeit entscheidend verbessert wurde. Griechen kauften Konsum- und Investitionsgüter ein, häufig auf Basis von billigen Krediten, aber zu erheblichen Teilen nicht im eigenen Land sondern im preiswerteren Ausland. Auf der anderen Seite waren griechische Exportwaren zu teuer um international wettbewerbsfähig zu sein. Die Verschuldung von Privaten, des Staates und das Leistungsbilanzdefizit nahmen zu. Die Kehrseite ist allerdings, dass andere Länder, insbesondere die Bundesrepublik, eine höhere Wettbewerbsfähigkeit aufwiesen und mit geringeren Lohnstückkosten vor allem Griechenland das Leben schwer machten. Man kann es auch so formulieren, dass einige Länder unter ihren Verhältnissen gelebt haben. Diese Seite der Medaille will oder kann Schäuble nicht sehen. Folglich tat die deutsche Politik sehr wenig, um einen Abbau der ökonomischen Ungleichgewichte im Euroraum zu ermöglichen.

Die „Hilfsprogramme“ für Griechenland verschärften diese Situation und führten zu dem bekannten Ergebnis. Eine Fortführung der Programme mit den Sparauflagen ist gegen jede ökonomische Vernunft und wird auch andere Krisenländer auf Dauer in große Probleme bringen. Eine Solidarität mit der Regierung Tsipras von Seiten anderer EU-Länder ist dringend erforderlich. Doch wie es scheint, setzten sich die Hardliner in der EU mit Wolfgang Schäuble an der Spitze durch. Es kam zwar zu einer vorläufigen Einigung mit der Regierung Tsipras, aber nachdem eine von der EU vorgelegte „Reformliste“ von der griechischen Regierung akzeptiert wurde. Syriza hat es nicht geschafft, das sogenannte Thessaloniki-Programm zu verwirklichen, das Ausgaben von 11 Mrd. € zur Ankurbelung der Wirtschaft und für Hilfsmaßnahmen zugunsten von Krisenopfern in Aussicht gestellt hatte. Ein Erfolg dieser Politik hätte die neoliberale Hegemonie in Europa erschüttern können und deswegen konnte man keine Unterstützung von Konservativen und Sozialdemokraten in Europa erwarten. Die griechische Regierung hat wesentliche Punkte ihrer Vorhaben fallen lassen müssen und musste die Zusicherung geben, keine Kürzungen und bisherige sogenannte Reformen zurückzunehmen. Yanis Varoufakis betonte allerdings, die Regierung habe nun die Möglichkeit erhalten, das Programm so umzugestalten, dass eigene Vorstellungen zum Tragen kommen könnten. Sollte es der neuen Regierung im Gegensatz zu den Vorgängerregierungen gelingen, Korruption und Vetternwirtschaft zu beenden, die miserable Steuerpraxis zu verbessern und die ineffiziente Bürokratie zu bekämpfen, wäre für die breite Bevölkerung ein Einstieg in eine neue Ökonomie gefunden. Es ist jedoch offen, wie die Verhandlungen zwischen der EU und der griechischen Regierung in Bezug auf Folgevereinbarungen nach der viermonatigen Verlängerung des Programms aussehen werden. Alexis Tsipras hofft, dann seinen eigenen Entwicklungsplan verwirklichen zu können.

Es geht in den nächsten Monaten um die weitere Auseinandersetzung mit der neoliberalen Austeritätspolitik in Europa. Deren Chefrepräsentant Wolfgang Schäuble verteidigt diese Politik vehement. Alles was getan werde sei im Interesse Griechenlands und vor allem Europas, obwohl sich inzwischen die Stimmen mehren, dass diese Politik gescheitert sei. Kritik kommt am deutlichsten hörbar aus dem angelsächsischen Raum und den südlichen Teilen des Euroraumes. Falls es nicht geschafft wird, die Sanierungspolitik der EU zu beenden und ein massives europäisches Investitionsprogramm aufzulegen, ist damit zu rechnen, dass die rechte Seite des politischen Spektrums in verschiedenen Ländern noch stärkeren Zulauf erhält. Das wäre nicht nur eine Katastrophe für Griechenland und andere Krisenländer sondern auch eine Gefahr für die Friedensordnung in Europa insgesamt. Die Verantwortung dafür würde im besonderen Maße der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik anzulasten sein. Abschließend sei auf eine Alternative hingewiesen, die Pierre Bourdieu schon vor Jahren präzise umriss:

„ Man sieht in aller Deutlichkeit, dass die Regierungen der europäischen Länder allesamt vor derselben Alternative stehen: Entweder geben sie sich selbst auf, indem sie sich um das Vertrauen der Finanzmärkte bemühen…Oder aber sie wachsen über sich selbst hinaus, indem sie an der Schaffung eines supranationalen Sozialstaates arbeiten, der fähig ist, das Vertrauen des Volkes zu gewinnen. Dies ist das einzig mögliche Fundament einer wahren Demokratie, die gleichermaßen politisch und ökonomisch ist.“