Der Kapitalismus bei Marx, Piketty und Bontrup

Beitrag von Dr.Peter Behnen

 

Der Ökonom Thomas Piketty hat Furore gemacht. Sein Buch „ Kapital im 21. Jahrhundert“ wurde ein Bestseller, die amerikanische Ausgabe wurde von vielen englischsprachigen Publikationen nicht nur zur Kenntnis genommen sondern   viele Autoren widmeten Pikettys Thesen einen breiten Raum. Der Nobelpreisträger für Ökonomie Paul Krugman zum Beispiel meint, das Buch werde unser Denken über die Gesellschaft und Ökonomie nachhaltig verändern.  Auch deutsche Medien zogen inzwischen nach, obwohl das Buch erst im Oktober 2014 in deutscher Sprache erscheinen soll. Das Cover des Buches erinnert an „Das Kapital“ von Karl Marx und der Altmeister des Neoliberalismus Hans-Werner Sinn stellt fest: „ Das Buch erinnert an Karl Marx, Piketty hat einen ähnlich  emotionalen Schreibstil und er benutzt eine ähnliche Theorie.“(1)   Auch andere Ökonomen in der Bundesrepublik haben sich zu Wort gemeldet. Beispielsweise sei das Mitglied des Sachverständigenrates Peter Bofinger genannt. In einem Spiegel-Interview wirft er Piketty vor, einer Reihe von Fehlschlüssen zu unterliegen und eine Theorie vorzulegen, in der Theorie und Empirie weit auseinanderklafften.(2)

Es ist somit auch eine wichtige Aufgabe der Linken, den Thesen von Piketty nachzugehen und zu überprüfen, inwieweit Pikettys Kapitalismusanalyse für eine fortschrittliche Politik nutzbar gemacht werden kann. Es gilt weiterhin zu überprüfen, ob es gerechtfertigt ist, Pikettys Theorie in eine Reihe mit der Theorie von Karl Marx zu stellen.  Dieser Aufgabenstellung will sich  Heinz-J.Bontrup, der Mitglied der Memorandumgruppe ist, in seinem neuesten Text unterziehen.

Heinz-J. Bontrup stellt im Anschluss an Thomas Piketty fest, „ dass die Renditen auf Vermögens (Kapital)bestände (r) schneller wachsen  als die Wirtschaftsleistung , das Bruttoinlandsprodukt(g).“(4)   Daraus folge eine zunehmende Konzentration von Vermögen bei Wenigen. Der langfristige Trend der Vermögens- und Kapitalakkumulation bei Wenigen werde nur durch große Kriege unterbrochen und auf lange Sicht werde der Kapitalismus seine Funktionsfähigkeit durch diesen Umverteilungsmechanismus zerstören. Bontrup folgt der Argumentation und sieht darin die Prognose von Marx bestätigt. „ Es kommt zu einer Stockung der Kapitalakkumulation und einem tendenziellen  Verfall der Profitrate. Am Ende verlieren nach Marx auch die Kapitalisten.“(5)   Der Kapitalismus erstickt an seinem Reichtum einerseits und seiner Armut andererseits.

Die langfristige Entwicklung
Aus Sicht der Marxschen Theorie ist Piketty und damit auch Bontrup zuzustimmen, dass es darauf ankommt, langfristige Entwicklungstendenzen des Kapitalismus herauszuarbeiten und aktuelle Probleme der Kapitalakkumulation in diese Entwicklung einzuordnen. Es ist allerdings fraglich, ob Piketty und Bontrup diese Entwicklung adäquat darstellen. Es ist ihnen zwar zuzustimmen, dass der Kapitalismus auf lange Sicht seine eigenen Grundlagen untergräbt, die Begründung dafür hat jedoch erhebliche Auswirkungen darauf, welche Konzepte zur Lösung der Probleme vorgeschlagen werden. Thomas Piketty argumentiert in erster Linie nicht ökonomisch sondern politisch. „Ich behaupte, dass die Katastrophe, die wir fürchten müssen, nicht ökonomisch ist, sondern politisch. Die Kapitalanhäufung führt zu immer größeren Ungleichheiten in der Gesellschaft, die als Ungerechtigkeit empfunden werden und deshalb destabilisierend wirken…Ohne rationale Rechtfertigung lässt sich diese Ungleichheit nicht ertragen.“(6)  Heinz J.Bontrup hält Piketty jedoch entgegen, dass er in diesem Punkte irre. Er zeigt auf, dass es keine durchgängige Zunahme der Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen gegeben habe und führt beispielhaft die Entwicklung in der Bundesrepublik nach dem 2.Weltkrieg an.

„ Der nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik entwickelte „sozialtemperierte Kapitalismus“…, auch als „rheinischer Kapitalismus“ oder als „soziale Marktwirtschaft“ bezeichnet, war, wie auch in anderen wohlfahrtsstaatlichen Wachstumsländern, die entscheidende Prämisse für das bisherige Überleben des Kapitalismus…“(7)

Laut Bontrup irrt Piketty ebenfalls, wenn unterstellt werde, nur Rentiers und Couponschneider lebten von der Arbeit anderer. Bontrup weist aus diesem Grunde auf die Arbeitswerttheorie hin. „ Die Arbeitswerttheorie, die Lehre von der Wertschöpfung durch produktive Arbeit,…wurde von William Petty begründet, von Adam Smith und David Ricardo weiterentwickelt, und dann mit der Theorie des absoluten und relativen Mehrwerts von Karl Marx vollendet.“(8)
Bontrup will damit zeigen, dass der kapitalistischen Produktionsweise die Produktion und Aneignung von Mehrwert inhärent sei und nicht auf die Aneignung von Einkommen und Vermögen durch Finanziers reduziert werden könne.
Es wird  zu klären sein, inwieweit Bontrup selbst eine verkürzte Auffassung der Marxschen Werttheorie vorlegt und bei ihm die Marxsche Ableitung von Bewußtseinsformen der im Wirtschaftsprozess Handelnden ganz unter den Tisch fällt. Festzuhalten bleibt, dass Bontrup es Piketty als großen Verdienst anrechnet durch seine umfangreiche und akribische Zusammenstellung der Daten  der Einkommens-und Vermögensentwicklung verifiziert habe, dass die Kluft zwischen Armen und Reichen immer größer werde, obwohl er dabei wichtige Erklärungen schuldig bleibe.

Für Bontrup ist zu klären, weshalb die abhängig Beschäftigten die ungleiche Verteilung dulden und es akzeptieren, „ dass sie nicht den vollen Wert ihrer Arbeit erhalten und ihnen die Unternehmer( Kapitaleigner) täglich mit dem unterstellten Leistungsprinzip suggerieren können, einen angeblich „gerechten Lohn“ für ihre Arbeit zu erhalten.“ (9) Bontrup hatte ja bereits angedeutet, dass er den Aufbau des Wohlfahrtsstaates für den entscheidenden Grund hält, der dem Kapitalismus das Überleben sicherte. Nun führt er weitere Gründe an. Die totale Abhängigkeit der Arbeitnehmer und die Befehlsstruktur in den Unternehmen seien erstens für das Stillhalten der Arbeitnehmer verantwortlich. Es komme zweitens hinzu, dass die unternehmerische Freiheit verfassungsrechtlich geschützt sei. Drittens erbringe die Bildungspolitik nicht die soziale Durchlässigkeit, die dem Arbeitnehmer einen entsprechenden Aufstieg ermögliche. „ Die kapitalistischen Apologeten, sagen (versprechen) uns aber ständig anderes. Hier kann jeder aufsteigen, der mit Leistung im Wettbewerb besticht. Dabei stören sie auch nicht die in der wirtschaftlichen Realität existierende Marktmacht und ihr Machtmissbrauch.“(10)

An dieser Stelle schlägt durch, dass Bontrup einen verkürzte bis falsche Auffassung der Marxschen Theorie des Wertes vertritt. Abgesehen davon, dass es unzulässig ist, die Marxsche Werttheorie in eine Reihe mit den sogenannten Arbeitswerttheoretikern  Petty, Smith und Ricardo zu stellen, fällt auf, dass er es unterlässt, klar zwischen dem Wert der Arbeit und dem Wert der Arbeitskraft zu unterscheiden. Marx hatte selbst darauf hingewiesen, wie wichtig diese Unterscheidung ist und welche entscheidende Bedeutung der Form des Arbeitslohnes für das Bewusstsein des Arbeiters wie des Kapitalisten zukommt. Im „Kapital“ formuliert Marx: „ Man begreift daher die entscheidende Wichtigkeit der Verwandlung von Wert und Preis der Arbeitskraft in die Form des Arbeitslohnes   oder in Wert und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und gerade sein Gegenteil zeigt, beruhen alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie.“(11)   Die Form des Arbeitslohnes  löscht die Teilung des Arbeitstages in notwendige Arbeit und Mehrarbeit und damit die Herkunft des Mehrwerts aus. Marx zeigt darüber hinaus noch an verschiedenen anderen Stellen des „Kapital“, dass der Unterschied von variablem und konstantem Kapital mystifiziert ist und an der Oberfläche der Gesellschaft der Schein entsteht, der geschaffenen Wert entstamme aus der Trinität der Produktionsfaktoren von Boden, Arbeit und Kapital. Diese Mystifikationen, die der Struktur des Kapitalismus entspringen, werden von Bontrup zu einer Machttheorie umgedeutet.  Es sind dann die Manipulationen und die Macht  der Kapitalvertreter, der Politik, der Medien und der Justiz, die für das falsche Bewusstsein verantwortlich sind. Es ist zwar nicht zu bezweifeln, dass diese Instanzen versuchen, den Kapitalismus durch ihre Ideologie zu stützen, doch das ist, wenn auf Basis der Marxschen Theorie argumentiert wird, nur möglich, weil die Struktur des Kapitalismus immer wieder die genannten Mystifikationen hervorbringt und damit die Grundlage für diese Bewußtseinsentwicklung bietet. Es ist hier anzumerken, dass auch Bontrup das oben angegebene Zitat von Marx in seiner Auseinandersetzung mit der Lehre von den Produktionsfaktoren bzw. der neoklassischen Grenzproduktivitätstheorie anführt. Das bleibt aber folgenlos für seine Bestimmung des Bewusstseins der Produktionsagenten. Bontrup wirft Piketty zwar mit Recht vor,  keine Gründe für die Akzeptanz der ungleichen Verteilung in der Gesellschaft zu benennen, er selbst bringt es jedoch nur dazu, zusammenhanglos verschiedene machttheoretische Argumente nebeneinander zu stellen.

Politisch-ökonomische Perspektiven
Die langfristige Entwicklungstendenz des Kapitalismus hatte Piketty als Tendenz der Einkommens- und Vermögensungleichheit beschrieben und vorhergesagt, dass in Zukunft mit einer großen Destabilisierung der Wirtschaftsordnung zu rechnen sei. Bontrup argumentierte zusätzlich mit dem tendenziellen Fall der Profitrate als entscheidende Ursache für den Niedergang des Kapitalismus. Aus seiner Sicht hängt die Zukunft des Kapitalismus vom Verlauf der Profitrate ab. Die Weltwirtschaftskrise 1974/ 75 und der Siegeszug des Neoliberalismus seien nur so zu erklären. „ Die Kapitaleigentümer waren seit der Weltwirtschaftskrise 1974/75 nicht mehr bereit ihre immer mehr unter Druck geratene und sinkende Profitrate zu akzeptieren.“ (12) Bei dieser Argumentation  ist aus der Sicht der Marxschen Theorie eine zweifache Kritik angebracht. Piketty ist vorzuwerfen, dass er die Verteilungsebene nicht als Kehrseite der Produktionsverhältnisse begreift und somit auch keinen Beitrag zur Einschätzung der langfristigen Entwicklung der Kapitalakkumulation leisten kann. Bontrup versucht diesen Weg zu gehen, scheitert aber wegen seiner verkürzten Interpretation der Marxschen Theorie und der dort abgeleiteten Bewußtseinsformen der Produktionsagenten. Das Ergebnis ist eine voluntaristische Erklärung der Weltwirtschaftskrise 1974//75 und des weiteren Verlaufes der ökonomischen Entwicklung bis heute.
Demgegenüber liegen seit einigen Jahren alternative Interpretationen der Marxschen Theorie und auch der Einschätzung der Krisenentwicklung bis heute vor.(13)
Im Gegensatz zu Thomas Pikettys Ausführungen und der Interpretation der Marxschen Theorie bei H.J.Bontrup sollten die Marxsche Theorie des Wertes und bestimmte Elemente der Keynesschen Theorie die Grundlage der Analyse des heutigen und zukünftigen  Kapitalismus sein. Dabei ist unter Werttheorie nicht eine reine Ausbeutungstheorie zu verstehen, wie es offensichtlich  von H. J. Bontrup verstanden wird. Unter der Marxschen Werttheorie wird im Gegensatz dazu die Darstellung der Art und Weise verstanden, in der die gesellschaftlich notwendige Arbeit im Kapitalismus sich im Wert der Waren  niederschlägt  und auf die verschiedenen Produktionssphären entsprechend der zahlungsfähigen gesellschaftlichen Nachfrage verteilt wird. Marx selbst hatte sich zu seiner Zeit immer wieder  mit dem Problem konfrontiert gesehen, dass seine Werttheorie auf Unverständnis stieß. In einem Brief an Kugelmann schrieb er 1868:

„ Das Geschwätz über die Notwendigkeit, den Wertbegriff zu beweisen, beruht nur auf vollständiger Unwissenheit, sowohl um die Sache, um die es sich handelt, als die Methode der Wissenschaft. Dass jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes Kind. Ebenso weiß es, dass die den verschiedenen Bedürfnismassen entsprechenden Massen von Produkten verschiedne und quantitativ bestimmte Massen der der gesellschaftlichen Gesamtarbeit erheischen. Dass diese Notwendigkeit der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in bestimmten Proportionen durchaus nicht durch die bestimmte Form der gesellschaftlichen Produktion aufgehoben, sondern nur ihre Erscheinungsweise ändern kann, ist self-evident. …Und die Form, worin sich diese proportionelle Verteilung der Arbeit durchsetzt in einem Gesellschaftszustand, worin der Zusammenhang der gesellschaftlichen Arbeit sich als Privataustausch der individuellen Arbeitsprodukte geltend macht, ist eben der Tauschwert dieser Produkte.“(14)

In eine so verstandene Theorie des Wertes sind eingeschlossen, die Analyse der Produktion und Akkumulation des Kapitals, der Grundbestimmungen der Konkurrenz und des Konjunkturzyklus und die Bestimmungen des Kredits sowie die Art und Weise, in der sich die Bestimmungen des Wertes durch das Handeln der am Wirtschaftsprozess Beteiligten durchsetzt.(15)  Dabei ist zwischen beschleunigter Akkumulation des Kapitals und chronischer Überakkumulation zu unterseiden, um die heutige Entwicklung adäquat erfassen zu können. All das ist bei Thomas Piketty nicht gegeben, wird aber auch nicht durch H. J. Bontrup eingefordert.  Marx hatte bereits für den reifen Kapitalismus herausgearbeitet, dass es zu einer chronischen Überakkumulation kommen müsse. Diese Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass der Fall der Profitrate des industriellen Kapitals nicht mehr durch eine Steigerung der Profitmasse aufgrund der beschleunigten Kapitalakkumulation kompensiert bzw. überkompensiert werden kann. Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die Überakkumulation chronisch, das Produktonspotenzial und die Einkommensverteilung klafften so weit auseinander, dass auch in Aufschwungsphasen des industriellen Zyklus ein Überfluss an Kapital existiert, der nicht per se Anlage findet. Gewaltige Kapitalmengen suchten und fanden Anlagemöglichkeiten im Finanzsektor. Das war verbunden mit der Herausbildung eines umfangreichen Netzes von Hedgefonds, Equity-Fonds, Pensionfonds etc. Joachim Bischoff stellt deswegen im Anschluss an Marx fest: „ Wenn wir also eine strukturelle oder chronische Überakkumulation feststellen können, dann schlägt sich dies in einer fallenden Zinsrate nieder und liefert für den imaginären Reichtum der Eigentumstitel expansive Impulse.“(16)

In diesem Sinne finden wir bei J.M.Keynes Parallelen zur Marxschen Theorie. Auch Keynes stellt für den reifen  Kapitalismus eine Überreichlichkeit an Kapital fest, das in die Spekulation fließt und auf lange Sicht die Stabilität des Kapitalismus gefährdet. Es kommt bei Keynes hinzu, dass die Verbrauchernachfrage untergraben wird und auch die sogenannte Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals (Verwertungsrate) in die Nähe des Zinssatzes zu sinken droht mit entsprechenden Auswirkungen auf die Investitionsneigung. Sowohl Marx als auch Keynes kommen in der Konsequenz zu dem Schluss, dass auf lange Sicht der Kapitalismus seine eigene Dynamik untergräbt, wobei beide unterschiedliche Begründungen und auch unterschiedliche Lösungsvorschläge anbieten .Thomas Piketty hingegen schließt weder an Marx noch an Keynes an und kommt nur zu der Feststellung, dass das gesellschaftliche Vermögen im Kapitalismus immer ungleicher verteilt wird. Er hat keine grundsätzlichen Vorbehalte  gegen den Kapitalismus als Wirtschaftsform und meint, durch eine umfassende und progressive Vermögenssteuer die Probleme dieser Wirtschaftsordnung lösen zu können.
„Die ideale Lösung…wäre eine weltweite progressive Steuer auf individuelle Vermögenswerte. Diejenigen, die gerade erst anfangen, würden sie nicht bezahlen, während diejenigen mit Milliarden viel entrichten müssten.“(17)
H.J. Bontrup stimmt diesem Vorschlag zu, glaubt jedoch nicht daran, dass das die Lösung der Probleme bringen wir. „ Dies ist zwar als ein erster richtiger Schritt zu begrüßen, aber dennoch völlig unzureichend zur „Zähmung“ des kapitalistischen Systems.“ (18)  Er weist darauf hin, wie schwer es ist, allein  Steuererhöhungen durchzusetzen geschweige denn weitergehende Forderungen. „Wenn allerdings nicht einmal mehr Steuererhöhungen auf große Vermögen und Einkommen möglich sind, wie soll dann erst eine zur wirklichen Beseitigung der kapitalistischen Fehlkonstruktionen notwendige Etablierung einer umfassenden Wirtschaftsdemokratie durchgesetzt werden?“(19)  Bontrup stellt zu Recht fest, dass dies schon nicht mehr das Anliegen Pikettys ist. Dass es aber sein Anliegen ist, hat er an verschiedenen Stellen bereits deutlich gemacht. Beispielhaft sei seine Besprechung des „Manifestes der entsetzten Ökonomen genannt.“(20)  An dieser Stelle hatte er bereits Forderungen benannt, die unbedingt durch eine alternative Wirtschafts- und Geldpolitik zu verwirklichen sind. Allerdings war schon hier zu bemängeln, dass der innere Zusammenhang der Forderungen unzureichend aufgezeigt wurde und die Forderung, eine Wirtschaftsdemokratie zu verwirklichen, unvermittelt an den Forderungskatalog angehängt wurde. Die Begründung für diese Forderung wurde von Bontrup damals nicht aus den Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise abgeleitet. Das war auch nicht verwunderlich, weil er nur von der Verteilungsseite her argumentierte und die Verteilung nicht als Kehrseite der Produktionsverhältnisse betrachtete. Das ist in seiner Kritik an Piketty nur bedingt anders. Er rekurriert zwar auf den tendenziellen Fall der Profitrate, aber eine Argumentation mit einer strukturellen Überakkumulation eröffnet er sich dadurch noch nicht. Eine stringente Ableitung von politischen Forderungen aus den Widersprüchen des heutigen Kapitalismus ist ihm deshalb nicht möglich und die Forderung, eine Wirtschafsdemokratie zu verwirklichen, taucht auch hier ziemlich unvermittelt auf. Trotzdem muss seine Kritik an Piketty innerhalb der Linken  als Anlass genommen werden, über eine Vielzahl von Übergangsforderungen, einschließlich der Forderung nach einer Vermögenssteuer, zu diskutieren, die die Möglichkeit eröffnen, einen alternativen Entwicklungsweg in Richtung einer gesellschaftlich gesteuerten Ökonomie zu finden.

 

1. H.W.Sinn, Thomas Pikettys Weltformel,www.faz/net/wirtschaft/ und weitere Links S.1

2.Peter Bofinger, Spiegel Nr.23/2014 S.73

3.Alle Zitate von H.J.Bontrup entstammen dem Text:Pikettys Kapitalismus-Analyse,pad-Verlag, Bergkamen 2014.

4.H.J.Bontrup a.a.O. S.5

5.a.a.O. S.7

6. Thomas Piketty, Spiegel Nr.19/2014, S.65f

7. H.J.Bontrup a.a.O. S.9

8. a.a.O.S.10/11

9. a.a.O. S.13

10. a.a.O. S.16

11. Karl Marx, Das Kapital Bd.1, MEW 23, S.562

12. H.J.Bontrup a.a.O.S.36

13. Siehe u.a. Stephan Krüger, Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation, Hamburg 2010 und Joachim Bischoff, Finanzgetriebener Kapitalismus, Sozialismus 4/14, Hamburg 2014.

14. Briefe über „Das Kapital“ Marx an Kugelmann, Berlin 1954, S.184

15.Siehe Stephan Krüger, Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation, Hamburg 2010.

16. Joachim Bischoff, a.a.O.S.57

17. Thomas Piketty, Globale Ungleichheit, www.ipg-journal.de/ und weitere Links S.1

18. H.J.Bontrup a.a.O: S.54

19. a.a.O.S.55

20.Siehe Askenazy u.a. Empörte Ökonomen, pad-Verlag,Bergkamen 2011.