Die Regierung in Thüringen als Zerreißprobe der LInken?

Dr.Peter Behnen

Zusammenfassung eines Aufsatzes von Joachim Bischoff und Björn Radke.

In Thüringen wird es das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik mit Bodo Ramelow einen Ministerpräsidenten der Linkspartei geben. Die politische Grundlage ist eine Dreierkoalition aus der Linkspartei, der SPD und den Grü-nen. Diese Koalition wird massiv von Teilen der Konservativen angefeindet. Das Projekt ist jedoch auch bei den BundesbürgerInnen umstritten. Im Westen sprechen sich nur 36% der Bürger für eine rot-rot-grüne Regierung aus, in den ostdeutschen Bundesländern allerdings bereits 56% der Befragten.

Auch in der Linkspartei selbst stößt das Projekt auf unterschiedliche Reaktionen. Die Strömung der Reformer in der Partei betrachtet die Regierungsbildung in Thüringen als einen „Meilenstein“ für die Linke. Bodo Ramelow begreift seine Wahl als einen Wendepunkt in der Linkspartei. Die Auseinandersetzung in der Partei dreht sich vor allem um die Frage, inwieweit die Regierungsbildung die Substanz des Kapitalismus angreife. Ramelow hält nichts von einer leeren anti-kapitalistischen Rhetorik, ohne dass sich konkret etwas für die BürgerInnen ver-ändert. Es geht ihm im Rahmen seines Regierungsbündnisses um den Beginn verschiedener Schritte, die auf Dauer in Richtung einer tiefgreifenden Verände-rung der Gesellschaft gehen. Der Koalitionsvertrag enthält vier Kernpunkte:
– Es soll ein kostenfreies Kitajahr eingeführt werden.
– Es soll mehr Geld ins Bildungswesen fließen, auch in die nicht-staatlichen Schulen.
– Geringverdiener sollen staatlich geförderte Arbeitsmöglichkeiten erhalten oh-ne dass sie auf Hartz IV zurückgreifen müssen.
– Die neue Regierung will Verwaltungskosten sparen durch Reduzierung der Zahl der Landkreise in Thüringen.
Susanne Henning- Welsow, die Landesvorsitzende der Linkspartei in Thüringen, kommentiert den Koalitionsvertrag folgendermaßen:
Es müsse immer unterschieden werden, welche grundsätzlichen Ziele eine Partei habe und was sich in einer konkreten Situation durchsetzen lasse. Sie lässt kei-nen Zweifel daran, dass die Partei an dem Ziel festhalte, eine Gesellschaft zu erreichen, in der die Verteilungsverhältnisse grundlegend verändert und die Ei-gentumsverhältnisse demokratisiert seien.

Demgegenüber klagt die Strömung der radikalen Linken in und außerhalb der Partei über den Verlust an Prinzipientreue gegenüber dem Sozialismus. Kritik kommt vor allem aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen. Originalton NRW: „ Wir wollen regieren…Aber doch bitte nicht mit dem politischen Aus-verkauf aller Ideen an die SPD und- welch ein kleiner Sonderskandal- sogar an die Grünen, die kriegsgeilste Truppe der gegenwärtigen Politik…Die Linke und noch mehr die Menschen weltweit brauchen einen Aufbruch zu neuen, sozialis-tischen Welten.“ Hier zeigen sich deutlich eine antikapitalistische Rhetorik und eine klare Absage an eine Politik der Doppelstrategie. Diese sollte darin beste-hen, einerseits einen Minimalkonsens mit Teilen der SPD, der Grünen und auch alternativen Gruppen zu finden und andererseits einen Weg zu einer grundle-genden gesellschaftlichen Veränderung zu gehen. Bernd Riexinger erhofft sich entsprechend von der Thüringer Koalition eine Signalwirkung auch für andere Bundesländer, ist aber skeptisch, was ein ähnliches Projekt auf Bundesebene angeht. Das ist in der Tat die Herausforderung für die Linke, auf Dauer auch auf der Bundesebene zu einem ähnlichen Projekt zu kommen. Das gilt auch für einen Politikwechsel in der Europa- und Außenpolitik. Es gibt nicht nur Kriegs-treiber in der SPD und den Grünen sondern es kommt darauf an, mit den Kräften zusammenzuarbeiten, die eine Alternative zur aktuellen Europa- und Außenpoli-tik anstreben. Dazu bedarf es aber auch Anstrengungen innerhalb unserer eige-nen Partei, der Öffentlichkeit nicht das Bild eines zerstrittenen Haufens sondern das einer linkspluralistischen Partei zu vermitteln. Das fällt augenblicklich nicht leicht, weil hinter den Kulissen nicht nur verschiedene Akzentuierungen sondern grundlegende Differenzen und Vorstellungen hinsichtlich einer sozialistischen Reformalternative hervortreten. Es werden teilweise Forderungen formuliert, bei denen die Anschlussfähigkeit an die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht immer gegeben ist.

Vier grundlegende Punkte eines Politikwechsels gilt es für die Linkspartei in der Öffentlichkeit zu verdeutlichen.

1. Die Große Koalition hat kein Mittel gegen die ökonomische Stagnation. Im Gegenteil, sie verschärft mit dem Fiskalpakt und der Schuldenbremse die wirtschaftlichen Probleme. Die Linkspartei muss durch den Verweis auf die krasse Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen ein umfassendes steuerfinanziertes Investitionsprogramm fordern
2. Die Kreditexpansion der Notenbanken fließt vor allem in die Finanzmärk-te. Dadurch kann kein ökonomischer Aufschwung erreicht werden. Die Linkspartei muss deutlich machen, dass die fehlende gesellschaftliche Nachfrage nur durch Veränderungen in der Einkommens- und Vermö-gensverteilung angegangen werden kann und nicht durch die Sparpolitik der europäischen Regierungen.
3. Die Linkspartei sollte sich für einen europäischen Investitionsfonds stark machen, der vor allem für kleine- und mittlere Unternehmen in den Kri-senländern eingesetzt werden könnte.
4. Die Linkspartei muss sich für einen sofortigen Stopp der Kürzungen bei den Löhnen, Renten und Sozialleistungen in den Krisenländern einsetzen. Sie muss klar sagen, dass die von der Bundesrepublik ausgehenden au-ßenwirtschaftlichen Ungleichgewichte ein wesentlicher Faktor der euro-päischen Krise sind. Die zentrale Richtschnur muss die Stärkung der Bin-nennachfrage in der Bundesrepublik sein, das bedeutet vor allem höhere Lohnsteigerungen und öffentliche Investitionen.

Ohne die Erarbeitung eines gemeinsamen Projektes von Linken, Sozialdemokra-ten und Grünen auf der angegebenen Basis wird sich keine gesellschaftliche Wende entwickeln. Ein solches Projekt könnte allerdings eine Strahlkraft auf die gesamte Republik ausüben. Die Linke muss aktiv an einem solchen Projekt mit-arbeiten, entsprechende Vorschläge machen, Perspektiven aufzeigen und dafür in der Öffentlichkeit werben.